USA & Europa |
22.01.2024 19:42:00
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Anleger wetten auf sanfte Landung - Rezessionsrisiko jedoch noch nicht überwunden
• Geschichte zeigt: Rezession in den USA ist noch nicht vom Tisch
• Auch in Europa bleibt die Rezession ein Thema
Anleger wetten auf sanfte Landung
Anleger bleiben weiter positiv und erwarten eine sanfte Landung der Wirtschaft, zurückzuführen auf einen erfolgreichen Versuch der Federal Reserve (Fed), die Inflation einzudämmen, ohne eine Rezession auszulösen. Grund für den Optimismus seien bisher starke Wirtschaftsdaten und die Hoffnung, dass Zinssenkungen unmittelbar bevorstehen. Wie CNN Business jedoch kürzlich berichtete, könnte die Wall Street ihrer Zeit voraus sein: Die Geschichte zeige nämlich, dass die Anleger in diesem Jahr gut beraten wären, vorsichtig zu bleiben.
Auch im vergangenen Jahr waren die Ängste vor einer Rezession groß. Doch die gute Nachricht: Das Wirtschaftswachstum in den USA hat sich als robust erwiesen und die befürchtete Rezession blieb aus. Die Inflation ließ im vergangenen Jahr nach und näherte sich immer weiter dem 2-Prozent-Ziel. In den letzten zwei Jahren hob die Fed den Leitzins insgesamt elf Mal an, die Arbeitslosenquote blieb jedoch weiterhin unter vier Prozent. Deshalb prognostizierten die politischen Entscheidungsträger, dass die Zinssätze wohl restriktiv genug seien, um noch in diesem Jahr mit den Senkungen beginnen zu können.
Die überschüssigen Ersparnisse, die während der Pandemie angesammelt wurden, haben sich länger gehalten als von vielen Ökonomen vorhergesagt, so CNN Business. Dies habe zur Folge, dass Verbraucher weiterhin optimistisch in die Zukunft blicken und Geld ausgeben würden. Ihr positiver Ausblick trug dazu bei, eine beeindruckende Marktrallye in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres auszulösen. Ökonomen würden nun unbedingt sagen wollen, dass die USA die Inflationsraten gesenkt und gleichzeitig eine Rezession vermieden habe, und erklären offiziell eine sanfte Landung, heißt es bei CNN Business.
Auch US-Finanzministerin Janet Yellen erklärte erst kürzlich: "Was wir jetzt sehen, können wir meiner Meinung nach als sanfte Landung bezeichnen." In ihren früheren Äußerungen war sich die Finanzministerin der Vereinigten Staaten hier noch nicht so sicher. So erklärte sie noch zuvor, dass eine sanfte Landung nur "möglich" sei.
Rezessionsrisiko mit Blick auf die Geschichte weiterhin hoch
Im Dezember hat sich der Preisauftrieb in den USA jedoch wieder überraschend deutlich beschleunigt. Laut einer Mitteilung des US-Arbeitsministeriums in Washington stiegen die Verbraucherpreise im Vergleich zum Vorjahresmonat um 3,4 Prozent. Dies übertraf die durchschnittlichen Erwartungen von Volkswirten, die mit 3,2 Prozent gerechnet hatten. Im November lag die Rate noch bei 3,1 Prozent. Die Preise erhöhten sich im Dezember im Vergleich zum Vormonat um 0,3 Prozent, was höher war als von Analysten erwartet, die lediglich mit einem Anstieg von 0,2 Prozent gerechnet hatten. Die Kerninflationsrate ging im Dezember von 4,0 Prozent im Vormonat auf 3,9 Prozent zurück, was unter den Erwartungen der Volkswirte lag, die einen Rückgang auf 3,8 Prozent erwartet hatten.
Historisch gesehen dauert es außerdem lange, bis die Auswirkungen hoher Zinsen auf die Wirtschaft deutlich werden, wie Jim Reid, Leiter der globalen Wirtschaftsabteilung der Deutschen Bank laut CNN Business in einer aktuellen Notiz erklärt. Dabei verwies er darauf, dass sechs der letzten 13 Zyklen die wirtschaftlichen Konsequenzen zwischen 19 und 28 Monaten nach der ersten Zinserhöhung der Fed am deutlichsten erkennbar waren. Schon Ende 2023 mit einer Rezession zu rechnen wäre damit etwas verfrüht. Allein wegen der empirischen Beweise, erklärte Reid, sei das Rezessionsrisiko heute höher als noch 2022 oder 2023.
Außerdem seien Gespräche über eine sanfte Landung vor einer Rezession nichts Überraschendes, erklärt der Experte. Auch vor den Rezessionen in den Jahren 2001 und 2008 wurde beispielsweise in Bloomberg-Artikeln von einer sanften Landung gesprochen. Selbstverständlich seien die Entwicklungen in der Vergangenheit kein Garant für ähnliche Ergebnisse in der Zukunft, jedoch gebe es auch weitere Vorzeichen.
Seit Juli 2022 habe sich der Zinsunterschied zwischen den Renditen von 2-jährigen und 10-jährigen US-Staatsanleihen umgekehrt. Wenn die Renditen von langfristigen Anleihen unter die Renditen von kurzfristigen Anleihen fallen, deute dies darauf hin, dass Anleger in Bezug auf die unmittelbare Zukunft nervöser sind als für einen längeren Zeitraum. Historisch gesehen gingen solche Umkehrungen jeder der letzten zehn Rezessionen in den USA voraus. Obwohl der US-Verbraucher weiterhin widerstandsfähig bleibt, zeigen Daten der Deutschen Bank, dass die Ausfälle bei Kreditkartenzahlungen den höchsten Stand seit mehr als 12 Jahren erreicht haben.
Hinzu kommt die weiterhin angespannte Geopolitik. Russlands Krieg gegen die Ukraine, der Konflikt im Nahen Osten sowie Angriffe auf die Schifffahrt im Roten Meer führten dazu, was Jamie Dimon, CEO von JPMorgan, als "die vielleicht gefährlichste Zeit, die die Welt seit Jahrzehnten erlebt hat" bezeichnet, so CNN Business.
Und auch in diesem Jahr könnte es einen weiteren politischen Kampf geben, um einen Regierungsstillstand in den USA zu verhindern, und das Land verzeichnet nach wie vor ein historisch hohes Haushaltsdefizit. Zudem sei wichtig zu beachten, dass es in den USA auch ein Jahr der Präsidentschaftswahlen ist.
Und obwohl sich der S&P 500 im letzten Jahr erholt hat, ist dies größtenteils auf die Macht der "Magnificent Seven" zurückzuführen, die den Großteil des Index ausmachen und im Jahr 2023 insgesamt um weit über 100 Prozent gestiegen sind.
Zusammengefasst erklärt CNN Business: Es gibt viel Bewegung, und jedes Ergebnis ist möglich. "Die uns vorliegenden Daten deuten stark auf eine sanfte Landung hin. In dieser Phase des Zyklus ist dies typischerweise der Fall", schrieben Reid und sein Team. "Eine wichtige Entscheidung für 2024 besteht darin, ob man den Daten oder der Geschichte folgt."
Rezession schon im Frühjahr?
Ed Hyman, Wirtschaftsexperte bei Evercore ISI, zeigt sich unterdessen bereits sicher, dass die Wirtschaft auf eine Rezession zusteuere. "Wir gehen davon aus, dass die wirtschaftliche Kontraktion im Frühjahr 2024 einsetzen wird. Unsere Analyse stellt sieben Rezessionsindikatoren fünf Signalen für wirtschaftliche Beharrlichkeit gegenüber, was auf ein differenziertes Bild schließen lässt", sagte Hyman, in einer Kundenmitteilung, laut dem Aktionär. Hyman wies auf verschiedene Anzeichen für eine Rezession hin, zu denen ebenfalls eine inverse Renditekurve für Staatsanleihen gehört, bei der kürzere Laufzeiten höhere Renditen aufweisen als längere Laufzeiten. Zusätzlich dazu stellte er eine Verringerung der Geldmenge fest sowie anhaltend negative Werte bei wichtigen wirtschaftlichen Indikatoren wie Kreditkonditionen, Verbrauchererwartungen und Auftragseingängen in der Industrie.
Zu den abmildernden Faktoren zählen die beträchtlichen Ersparnisse der Verbraucher, die fortwährenden Auswirkungen der fiskalischen Anreize sowie die vorhandene überschüssige Liquidität. Zusätzlich spielt auch hier der solide Arbeitsmarkt eine Rolle.
Und auch Hyman verweist auf die Beispiele in der Vergangenheit: "Die Geschichte legt nahe, dass eine Rezession im Frühjahr 2024 beginnen könnte, und auf eine Inversion der Zinskurve folgte immer eine Rezession", schrieb er. "Dies hat offensichtliche politische Implikationen, die sowohl dem Weißen Haus als auch der Fed bekannt sind."
Auch Europa im Abschwung?
Doch nicht nur in den USA bleibt der wirtschaftliche Abschwung ein befürchtetes Szenario. Auch in Europa beschäftigt dieses Thema weiterhin die Anleger sowie die Experten. Laut Reuters äußerte EZB-Vize Luis de Guindos die Erwartung, dass zu Jahresbeginn, ähnlich wie bereits im Dezember, eine Unterbrechung des Inflationsrückgangs zu erwarten sei. Gleichzeitig betonte er, dass die Entwicklungen im Bereich des Wirtschaftswachstums enttäuschend seien. Einige Indikatoren deuteten darauf hin, dass die Wirtschaftsleistung bereits im Dezember zurückgegangen sei. Eine mögliche technische Rezession in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 sei im Bereich des Möglichen, und die Aussichten für die unmittelbare Zukunft seien eher düster. In der Volkswirtschaft wird von einer technischen Rezession gesprochen, wenn die Wirtschaftsleistung zwei aufeinanderfolgende Quartale schrumpft.
"Die Verlangsamung der Aktivität scheint breit gefächert zu sein", sagte de Guindos. Vor allem seien Bau und Industrie davon betroffen. Doch auch im Dienstleistungssektor müsse man in den kommenden Monaten mit einem Nachlassen der Aktivitäten rechnen, was auf die schwächeren Aktivitäten im Rest der Wirtschaft zurückzuführen sei.
Derzeit gehen Investoren an der Börse davon aus, dass die Europäische Zentralbank (EZB) im Verlauf dieses Jahres mehrere Zinssenkungen vornehmen wird, wobei der erste Schritt voraussichtlich im März oder April erfolgen soll. Dennoch haben mehrere Währungshüter signalisiert, dass es länger dauern könnte, bis sie sicher sind, dass die Inflation unter Kontrolle ist und sich auf die Zielmarke von zwei Prozent zubewegt, so Reuters.
Wie sich der Markt weiterhin entwickelt und ob dieses Jahr tatsächlich eine Rezession bereithält, bleibt jedoch abzuwarten.
Redaktion finanzen.at
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