10.06.2016 18:17:40
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Aachener Zeitung: Kommentar Fußball in Europa Eine derartige EM hat es bislang noch nicht gegeben Bernd Mathieu
Aachen (ots) - Eine solche Situation hat es noch nie bei einer
Fußball-Europameisterschaft gegeben: 24 teilnehmende Mannschaften,
90000 Polizisten und Soldaten, 12000 private Sicherheitsleute. Auf
derartige Superlative möchte man gerne verzichten - auf die
Aufblähung eines Turniers, bei dem nach der Vorrunde nur acht
Mannschaften nach Hause fahren müssen, und, vor allem, auf die
permanent anwesende Angst vor einem Terrorakt. Diese EM ist anders.
Die Euro 2016 findet, ausgerechnet, in dem bislang von dem
islamistischen Terror am stärksten betroffenen Frankreich statt. Das
ist eine nicht geplante Dramaturgie. Ein Zufall, der dem gigantischen
Championat die übliche Freude zu rauben scheint. Die ungetrübte
Leichtigkeit auf den Fan-Meilen und in den Stadien ist (noch) nicht
da. Die Euro 2016 könnte dennoch in einem Europa, das sich politisch
in seine nationalen Einzelteile zerlegt und sich selbst aufzulösen
scheint, ein zumindest temporärer Gegenentwurf zur Tristesse des
bisherigen europäischen Jahres sein - zu seiner in so vielen
Facetten daherkommenden Sprach- und Mutlosigkeit. Sie zeigt sich ganz
unangenehm und höchst enttäuschend aktuell im seltsamen Schweigen
einer Kanzlerin, der zu den Hasstiraden eines mehr und mehr
entgleisenden türkischen Staatspräsidenten nur die Banalität einer
nichtssagenden Worthülse einfällt. Sie halte, so ließ sie ihren
Regierungssprecher verlautbaren, gewisse Äußerungen "von der
türkischen Seite für nicht hinnehmbar". Das reicht als Reaktion auf
die Irrungen von Recep Tayyip Erdogan, den sie namentlich zu nennen
sich nicht traut, keineswegs. Und auch Merkels Teamkollege auf dem
Außenflügel, Steinmeier, schweigt, wo ein Protest in der Klarheit
der Mitspieler Lammert und Schulz unbedingt nötig gewesen wäre. Eine
Europäische Union, die nicht mehr in der Lage ist, ohne Abhängigkeit
von einem Despoten ihre Flüchtlingspolitik zu organisieren und zu
strukturieren, die offensichtlich keinen Plan B hat, fördert die
Orientierungslosigkeit ihrer Bevölkerung. Sie vermittelt keine Linie,
keine Sicherheit, keine Perspektive und erst recht keine Zuversicht
auf dem wahrscheinlich vielseitigsten und demokratischsten Kontinent
der Erde. Sie trägt Mitverantwortung für die immer intensiver
werdende Renaissance der Populisten, Reaktionäre und Nationalisten.
Und nun die EM. Sie ist eine Konzentration verschiedener Kulturen,
nicht nur der Spielsysteme, sondern der Menschen aus verschiedenen
Herkunftsländern. "Je suis Euro 2016": Das sind Spieler und Trainer,
Funktionäre und Journalisten, Fernsehzuschauer und Fans aus aller
Herren Ländern. Fußball hat wunderbare assoziative Fähigkeiten: Er
versteht es, zumal bei einem solchen EM-Turnier, große Feste und
unvergessene Spiele zu inszenieren, Tragödien und Komödien auf den
Programmzettel zu lancieren, Dramen und Erfolgsgeschichten zu
schreiben. Er ist das Spielfeld der glänzenden Sieger und der
verzweifelten Verlierer. Er präsentiert Mimik und Gesten, Rasanz und
Langeweile, Stimmungen und Emotionen, Ungerechtigkeiten und Bluff.
Ein richtig gewürztes Fußballspiel ist immer eine Hommage an die
Lebensfreude. Hoffentlich kann die Euro 2016 dieses vitale Zeichen
setzen: für die Vielfalt Europas und damit für seine Einzigartigkeit,
die niemand leichtfertig aufs Spiel setzen sollte.
OTS: Aachener Zeitung newsroom: http://www.presseportal.de/nr/61649 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_61649.rss2
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