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Weiter Weg 06.09.2018 15:59:00

10 Jahre Lehman-Pleite - IWF: System ist noch nicht sicher genug

10 Jahre Lehman-Pleite - IWF: System ist noch nicht sicher genug

"Wir sind einen weiten Weg gegangen, aber noch nicht weit genug. Das System ist sicherer, aber nicht sicher genug. Das Wachstum hat sich erholt, wird aber nicht genug geteilt", so Lagarde.

Die Krise werde die Generation, die sie erlebt habe, ein Leben lang prägen. Die Folgen der Krise - die von den einfachen Menschen getragenen hohen wirtschaftlichen Kosten verbunden mit der Wut über die Rettung von Banken und ungestraft davon gekommenen Bankern, während gleichzeitig die Reallöhne stagnierten - seien entscheidend, die Gegenreaktion auf die Globalisierung zu erklären und Schuld am Vertrauensverlust, denen sich Regierungen und andere Institutionen ausgesetzt sehen. Die Krise werfe einen langen Schatten und es gebe keine Anzeichen dafür, dass dieser bald verschwinden werde.

Der Zusammenbruch von Lehman Brothers habe zu einer systemischen Krise geführt, so die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) Lagarde rückblickend. Insgesamt seien 24 Länder der Bankenkrise zum Opfer gefallen und die Wirtschaftstätigkeit sei in den meisten dieser Länder immer auf das Vorkrisenniveau zurückgekehrt.

Der durchschnittliche US-Amerikaner werde aufgrund der Krise 70.000 US-Dollar (60.439 Euro) an Lebenseinkommen verlieren. Auch Regierungen fühlten weiterhin die Auswirkungen. Die Staatsverschuldung in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften sei um mehr als 30 Prozentpunkte gestiegen - aufgrund von Konjunkturschwäche, Konjunkturförderprogrammen oder wegen der Rettung insolventer Banken. Nunmehr stehe man vor neuen Verwerfungen.

Rückblickend seien die Schwachpunkte offensichtlich, damals seien sie es weniger gewesen. Die meisten Ökonomen hätten die Entwicklungen nicht vorhergesehen. Das sei auch eine ernüchternde Lektion in Sachen "Gruppendenken".

Im Kern sei es damals um Finanzinnovationen gegangen, die außerhalb von Regulierungen und Aufsicht entwickelt worden seien. Vor allem in den USA hätten Finanzinstitute eine unbegrenzte Risikobereitschaft an den Tag gelegt und das traditionelle Einlagengeschäft gegenüber kurzfristigen Finanzierungen vernachlässigt. Kreditvergabestandards seien dramatisch gesenkt worden, Kredite seien mittels undurchsichtiger Verbriefungen aus den Bilanzen verschwunden. Generell habe eine Verlagerung von Aktivitäten in kaum regulierte Finanzsektoren stattgefunden. Der Marktanteil von Subprime-Hypotheken erreichte in den Vereinigten Staaten bis zum Jahr 2006 einen Anteil von 40 Prozent aller hypothekenbesicherten Wertpapiere.

Die zunehmende Globalisierung der Bank- und Finanzdienstleistungen habe bewirkt, dass die Krise rasch und gefährlich eskalierte. Europäische Banken seien die Hauptabnehmer der US-amerikanischen hypothekenbesicherten Wertpapieren gewesen. Gleichzeitig habe die Einführung des Euro zu großen Kapitalflüssen in die Euro-Peripherieländer geführt, da die Kreditkosten sanken. Diese Ströme wurden im Kern von Banken finanziert, was ein weiterer Ansteckungskanal gewesen sei. Die Globalisierung habe auch durch Aufsichtsarbitrage zu dem Problem beigetragen: Die Finanzinstitute konnten aufgrund der Möglichkeit, sich in günstigere Jurisdiktionen zurückzuziehen, eine weniger strenge Aufsicht erlangen.

Wenn die Politik vor der Krise unzureichend reagiert habe, so sei die Reaktion unmittelbar darauf beeindruckend ausgefallen. Die 20 größten Industrieländer (G-20) hätten ihre Politik auf globaler Ebene koordiniert, es sei zu Kapitalhilfen, Schuldengarantien und Ankäufen von Vermögenswerten gekommen, die Zentralbanken hätten die Leitzinsen gesenkt und bewegten sich später mit einer unkonventionellen Geldpolitik in unbekannten Gewässern. Regierungen hätten die Nachfrage mit fiskalischen Anreizen gestützt.

Auch der IWF habe seinen Teil zur Krisenbewältigung beigetragen, 500 Mrd. US-Dollar in Krisenländer investiert und beispiellose 250 Mrd. US-Dollar globale Liquidität in das System gepumpt. Die eigenen Kreditvergabemodelle und makroökonomischen Modelle seien modernisiert und überdacht worden.

Insgesamt habe durch diese Maßnahmen ein "Worst-Case-Szenario" verhindert werden können. "Das war keine sichere Sache - unmittelbar nach Lehman starrten wir wirklich in den Abgrund. Heiliger Strohsack, wirklich ...", so Lagarde.

Die Politik sei die Fehler angegangen, die zur Krise geführt hätten. Banken hätten jetzt viel gesündere Kapital- und Liquiditätspolster. Außerbilanzielle Einheiten seien gekürzt und unter das regulatorische Dach gebracht worden. Große Banken sehen sich einer strengeren Regulierung gegenüber und die Fremdkapitalisierung sei geringer. Neue Subprime-Hypotheken werden praktisch keine mehr vergeben. Ein großer Teil der außerbörslichen Derivate sei auf das zentrale Clearing verlagert worden.

"Das ist alles gut, aber immer noch nicht gut genug", betont Lagarde. Zu viele Banken, insbesondere in Europa, seien noch immer schwach. Das Bankkapital müsste weiter erhöht werden und "Too-big-to-fail" bleibe weiter ein Problem, wenn Banken immer größer und komplexer werden. Unzureichend gelöst sei auch noch immer das Problem der Bankeninsolvenzen, vor allem im grenzüberschreitenden Bereich. Zudem wanderten viele undurchsichtige Aktivitäten in den Schattenbankensektor ab. Herausfordernd für die Finanzstabilität seien auch Finanzinnovationen inklusive Hochfrequenzhandel und Fintechs. Am besorgniserregendsten sei wahrscheinlich aber der erhebliche Druck der Finanzindustrie auf die politischen Entscheidungsträger, die nach der Krise erlassenen Vorschriften wieder rückgängig zu machen.

Zugleich ist laut Lagarde auch der ethische Aspekt nicht zu unterschätzen. Noch immer stelle der Finanzsektor kurzfristige Profite über Nachhaltigkeit. Ethik sei nicht nur um ihrer selbst willen wichtig, sondern weil ethische Verfehlungen wirtschaftliche Konsequenzen hätte. Gute Regulierung und Aufsicht könne viel bewirken, aber sie könnten nicht alles machen. Sie müssten durch Reformen innerhalb der Finanzinstitutionen ergänzt werden.

In diesem Zusammenhang spricht sich Lagarde auch für eine stärkere Einbindung von Frauen in die Führung von Finanzinstituten aus. Das führe zu mehr Vielfalt und mehr Vorsicht.

"Wir sind einen weiten Weg gegangen, aber noch nicht weit genug. Das System ist sicherer, aber nicht sicher genug. Das Wachstum hat sich erholt, wird aber nicht genug geteilt", resümiert Lagarde.

Auch die Lage der politischen Ökonomie habe sich verkompliziert, das Engagement für internationale Zusammenarbeit habe sich verringert - ironischer Weise gerade jene Kooperation, die verhindert habe, dass aus der Krise eine "Große Depression" geworden sei. Dabei sei gerade die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit eine der wesentlichen Lehren aus der Krise.

Nunmehr stünde man vor neuen Krisenherden - von der möglichen Rücknahme der Finanzregulierungen, den Folgen der exzessiven Ungleichheit, bis hin zu Protektionismus und wachsenden globalen Ungleichgewichten. "Wie wir auf diese Herausforderungen reagieren, wird darüber entscheiden, ob wir die Lehren aus Lehman vollständig verinnerlicht haben. In diesem Sinne kann das wahre Vermächtnis der Krise nach zehn Jahren nicht angemessen bewertet werden - weil es erst geschrieben wird", so Lagarde.

(Schluss) ggr/gru

WEB http://www.imf.org

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Bildquelle: Mario Tama/Getty Images,Kirsty Wigglesworth/AP
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