09.08.2020 14:30:38

ROUNDUP 3: Schulbeginn in Corona-Zeiten - Kritik an der Vorbereitung

(aktualisierte Fassung)

BERLIN (dpa-AFX) - Viele Eltern dürften in diesem Jahr dem Schulbeginn ihrer Kinder nach den Sommerferien mit einem etwas mulmigen Gefühl entgegensehen: Sind die Schulen in Zeiten von Corona ausreichend vorbereitet? Zwei Schulschließungen wegen Corona-Infektionen in Mecklenburg-Vorpommern kurz nach Schuljahresbeginn zeigen, wie schnell die Kinder wieder zu Hause aufschlagen können - ganztags. In Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein geht die Schule am Montag wieder los, im bevölkerungsreichsten Land Nordrhein-Westfalen am Mittwoch.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht viele Schulen und Lehrkräfte immer noch nicht ausreichend auf digitalen Unterricht vorbereitet - sollten Corona-Infektionen in den Schulen ihn nötig machen. GEW-Chefin Marlis Tepe kritisierte in einem am Sonntag verbreiteten Gespräch mit der "Wirtschaftswoche": "Die Landesregierungen haben die Ferienzeit zu wenig für die konzeptionelle Arbeit genutzt."

Ein digitaler Unterricht scheitere nicht am Willen der Lehrer, sondern an der fehlenden Infrastruktur, sagte Tepe. Nur etwa zehn Prozent der Lehrkräfte würden die notwendigen Geräte wie Tablets und Laptops durch ihre Schulen gestellt bekommen, private PCs dürften nicht genutzt werden. In den Schulen selbst müssten sich teils 1000 Kinder 100 Laptops teilen.

Der Vorsitzende des Bundeselternrates, Stephan Wassmuth, sagte der "Welt" (Samstag), es sei ärgerlich, dass die Kultusminister die Sommerferien nicht dafür genutzt haben, einen verlässlichen Unterricht auch in Corona-Zeiten vernünftig vorzubereiten."

Nach Angaben aus den Ländern sind die Schulen inzwischen digital besser aufgestellt, sollte es wieder Schließungen und Fernunterricht geben. In NRW mit seinen 5500 Schulen und rund 2,5 Millionen Schülern sollen alle Lehrkräfte und alle bedürftigen Schüler Laptops oder Tablets aus umfangreichen Mitteln von Bund, Land und Kommunen finanziert bekommen. Die Landesregierung sieht Investitionen in Höhe von rund 350 Millionen Euro für das Lehren und Lernen mit digitalen Medien vor. Den Angaben zufolge sind bislang mindestens 93 Prozent der Schulen ans schnelle, gigabit-fähige Internet angeschlossen oder werden es bald sein.

Bei der Digitalisierung waren BERLINs Schulen vor Corona nicht eben weit vorne. Inzwischen haben den Angaben zufolge mehr als 600 Schulen in der Hauptstadt Medienkonzepte eingereicht, um Mittel aus dem bundesweiten, 5,5-Milliarden-Euro schweren Digitalpakt Schule abzurufen. Die Mittel aus dem Digitalpakt - insgesamt 257 Millionen Euro bis 2024 - flössen jetzt ab.

In BRANDENBURG wurde die Anbindung an die Schulcloud - eine gemeinsame Internet-Plattform mit digitalen Lehr- und Lerninhalten - massiv ausgeweitet. Ursprünglich sollten in diesem Jahr 100 Schulen an die Cloud angeschlossen sein, inzwischen arbeiten bereits 403 Schulen damit, 500 der insgesamt 916 Schulen sollen es im neuen Schuljahr werden. Auch in SCHLESWIG-HOLSTEIN löste die Corona-Krise einen Digitalisierungsschub in Schulen aus. Das Land erhält aus dem Digitalpakt 170 Millionen Euro.

Nordrhein-Westfalen löste mit seinem Vorstoß, ältere Schüler vorerst (bis 31. August) auch im Unterricht Masken tragen zu lassen, eine Debatte aus. In anderen Bundesländern können die Masken im Unterricht abgenommen werden. Nun fordern auch Berliner Elternvertretungen, dass Schüler und Lehrer in der ersten Schulwoche im Unterricht einen Mund-Nasen-Schutz tragen sollten. Bisher ist das in Schulgebäuden lediglich auf Fluren, auf der Toilette, in Aufenthalts- und Begegnungsräumen vorgesehen.

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) rief in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" dazu auf, "dass in der Schule Mund- und Nasenbedeckungen getragen werden sollten, wenn die Abstandsregeln nicht eingehalten werden können". Der Vorsitzende des Bundestagsbildungsausschusses, Ernst Dieter Rossmann (SPD), bezeichnete in der Zeitung den Schulstart als "Stresstest für den Bildungsföderalismus". Er forderte von den Bundesländern "mehr Klarheit und Gemeinsamkeit über das Hygienekonzept hinaus". Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) warnte indessen vor einem Wettbewerb unter den Ländern um besonders strenge Corona-Regeln in den Schulen.

Die Vorsitzende des Ärzteverbands Marburger Bund, Susanne Johna, hält Masken im Unterricht nach eigener Aussage nicht für angebracht. Der Deutschen Presse-Agentur sagte sie zudem, die Überlegungen für Corona-Regeln kämen "teilweise erstaunlich spät, denn das Schuljahr beginnt ja nun nicht überraschend". Die Kultusminister hatten beschlossen, dass alle Schüler nach den Sommerferien wieder wie gewohnt in die Schule gehen sollen und dass dabei auf die Abstandsregel verzichtet werden soll.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Uwe Witt erklärte am Sonntag: "Den Gedanken, dass Schüler stundenlang im Unterricht Masken tragen sollen, finde ich unerträglich." Anstatt jetzt Lockerungen anzuordnen und eine Rückkehr zur Normalität zu ermöglichen, setze NRW noch eins drauf und "schikaniert die quasi-null-Risikogruppe der Schüler. Hier geht es um nicht weniger als eine staatlich verordnete Körperverletzung gegen die Schüler."

Am Freitag waren in Mecklenburg-Vorpommern zwei Schulen wenige Tage nach Schulbeginn wieder geschlossen worden. Eine Grundschule in Graal-Müritz nahe Rostock bleibt wegen eines infizierten Schülers zwei Wochen zu, ein Gymnasium in Ludwigslust mit rund 800 Schülern wird bis einschließlich Mittwoch kommender Woche geschlossen, nachdem eine Lehrerin positiv getestet wurde.

Angesichts gestiegener Infektionszahlen warnte Johna gegenüber der dpa vor wachsender Nachlässigkeit in der Corona-Pandemie. Die Zahl der Corona-Infektionen lag am Samstag den dritten Tag in Folge über der Schwelle von 1000 neuen Fällen. Das Robert Koch-Institut meldete am Samstagmorgen 1122 neue Corona-Infektionen innerhalb eines Tages./rm/sam/jr/DP/he

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