20.05.2011 10:19:37

REPORTAGE: Stilles Ende einer Ära - Börsenparkett im Wandel

    FRANKFURT (dpa-AFX) -  Auf dem Frankfurter Börsenparkett legen Händler die Preise für Aktien fest. Noch. Ab dem 23. Mai übernehmen diesen Job endgültig Computer. Der Präsenzhandel wird damit abgeschafft. Doch kaum jemand wird das mitbekommen - dabei ist es das Ende einer Ära.

 

    Über der faltbaren Tür einer winzigen, fensterlosen Kammer hängt ein Schild mit der Aufschrift "Sanwa Bank". Drinnen stehen schief gestapelte Wasserkisten. Im Kämmerchen nebenan lehnen zusammengeklappte Stehtische. Im nächsten ist bis auf eine Borte an der Wand gar nichts mehr. Die Hinterzimmer der Frankfurter Börse sind weit weg vom pulsierenden Leben der Bankenmetropole. Sie sind Zeugen einer Zeit vor Computer und Internet, quasi der Zeit vor dem ersten großen Wandel. Der zweite kommt im Mai: Endgültig sollen dann alle Aktienpreise vom Computer festgestellt werden.

 

    "Rumpelkammern", nennt Torsten Kuck vom Wertpapierhandelshaus N. M. Fleischhacker in Frankfurt die Kleinraumbüros jetzt scherzhaft. Früher hatten Banken aus aller Welt eine Kammer in der Frankfurter Börse, ein paar Treppenstufen vom berühmten Handelssaal entfernt. In den Kammern standen nur ein Fax und ein Telefon, selten ein Stuhl. Kam ein Auftrag herein, rannte der Banker auf das Parkett und führte ihn aus. "Heute schicken alle Banken ihre Orders elektronisch her. Die Räume werden nicht mehr gebraucht", erklärt Kuck.

 

    Kuck ist Skontroführer. Er findet den Preis einer Aktie heraus, ist gewissermaßen der Mittelsmann zwischen Käufer und Verkäufer eines Wertpapiers. Skontroführer haben Präsenzpflicht: Während der Handelszeit montags bis freitags zwischen 9.00 und 20.00 Uhr - voraussichtlich ab 1. Juni schon ab 8.00 Uhr - muss permanent rund die Hälfte der mehr als 200 Skontroführer auf dem Parkett präsent sein. Skontroführer wird es ab dem 23. Mai nicht mehr geben. Das Computerprogramm Xetra übernimmt dann die Preisfeststellung. Verwaisen wird das Parkett aber nicht.

 

    Aus den Skontroführern werden die sogenannten Spezialisten, die zum Beispiel eingreifen, wenn der Computer an Kompromisslosigkeit scheitert: Manchmal ist nämlich der geforderte Mindestpreis für eine Aktie höher als der maximal gebotene Betrag des Aktienkäufers. Xetra würde dann keine Schnittstelle am Markt finden. "Dann passiert erst mal nichts", sagt Kuck. "Wir Spezialisten greifen ordnend und überwachend ein." Der Mensch muss also wieder ran: Der Spezialist selbst tritt dann als Käufer beziehungsweise Verkäufer auf. "Liquiditätsspendend" nennt Kuck das.

 

    Kuck erklärt seinen Job, während er durch die unprominenten Hinterzimmer im Börsengebäude schlendert. Klar, auch jetzt schon ist die Preisfindung ein Nebeneinander von Mensch und Computer. Weit über 90 Prozent des Handels finden derzeit auf Xetra statt. Die Frage nach Wehmut auf dem Parkett soll Emotionen provozieren, aber Kuck reagiert professionell, souverän, kühl: "Sicherlich nicht. Mein Gott, vielleicht gibt's eine kleine Abschiedsfeier."

 

    Für den Privatanleger ändert sich in der Handhabung nicht viel. Vorteile ergeben sich eher auf internationaler Ebene: Investoren aus dem Ausland hatten bisher keinen direkten Zugang zu kleinen börsennotierten Unternehmen. Dank Xetra wird es laut Kuck einfacher, internationales Kapital anzuwerben. Kleinere Unternehmen haben dadurch bessere Chancen auf Financiers.

 

    "Der Privatanleger bekommt dafür ein Marktmodell, in dem seine Orders schneller und zuverlässiger ausgeführt werden", erklärt Michael Sterzenbach vom Bundesverband der Wertpapierfirmen an den deutschen Börsen (BWF) in Frankfurt. "Auch richtet sich zukünftig die Entlohnung des Spezialisten an der Güte seiner verbindlichen An- und Verkaufskurse und somit seiner Bereitschaft, für den Anleger durch Selbsteintritt den bestmöglichen Preis zu erzielen", fügt Kuck an.

 

    Außerdem senke die computergestützte Preisfindung die Kosten für die Bearbeitung der Aufträge, sagt Klaus Nieding vom Deutschen Anlegerschutzbund in Frankfurt. Darüber hinaus sorgten elektronische Handelssysteme wie Xetra für "Gleichberechtigung und Anonymität der Handelspartner" und ermöglichten sogar den Kauf- oder Verkauf nur einer einzigen Aktie. Einen Nachteil für den Kleinanleger sieht der Rechtsanwalt in der schlechteren Vorhersehbarkeit der Preisentwicklungen: Ein Computerprogramm könne Entscheidungen viel zeitnaher treffen als der Skontroführer. Das berge die Gefahr von Kurssprüngen und Preismanipulationen. "Der private Anleger kann immer erst dann reagieren, wenn der Markt bereits in eine Richtung gelaufen ist", erläutert Nieding.

 

    Der Privatanleger merkt aber voraussichtlich kaum etwas von der Umstellung. Das Wichtigste passiert hinter den Kulissen. "Wir wechseln hier nur kurz den Motor aus, das Auto fährt normal weiter", sagt Kuck. Niedings Tipp: "Der Privatanleger sollte die Bankgebühren mehrerer Banken vergleichen, da sich diese infolge der Umstellung erhöhen beziehungsweise verringern könnten."

 

    Das Areal mit Siebzigerjahre-Charme hinter sich gelassen, steht Kuck jetzt auf dem neuen dunklen Parkett des hochmodernen Handelssaals mit den berühmten indirekt beleuchteten, Ufo-ähnlichen Rondellen. Er könne jetzt losgehen zu einem der anderen Skontroführer und sagen: "Tausend Stück von dir." Praktisch das Retro-Handeln vorführen. Von Angesicht zu Angesicht. Bis zum 20. Mai zum Börsenschluss ist dieser Zurufhandel noch möglich. "Aber das macht ja fast keiner mehr. Der Präsenzhandel wird einfach nicht mehr  enötigt."

 

    Im Hintergrund rattern die ständig umklappenden Plastikblättchen der schwarzen Kurs-Anzeigetafeln. "Klar, die hätte man beim Umbau auch in digitale ändern können", sagt Kuck auf die prominente Akustik angesprochen und wird dann endlich doch noch ein bisschen melancholisch: "Ist schon so, dass das Persönliche fehlen wird."/DP/zb     --- Von Johanna Uchtmann, dpa ---

 

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