Wegen Brexit-Votum |
04.08.2016 15:05:00
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Bank of England greift ein und senkt Leitzins
Mit der Leitzinssenkung hatten Experten mehrheitlich gerechnet. Die Ausweitung der Anleihekäufe galt dagegen vorab als eher unwahrscheinlich. Bei einer ersten Zinssitzung nach dem Votum hatte die Notenbank Mitte Juli noch von einer Leitzinssenkung abgesehen. Während der Finanzkrise im April 2009 hatte die BoE den Leitzins auf den Tiefstand von 0,50 Prozent gesenkt.
WERTPAPIERKÄUFE AUSGEWEITET - AUCH UNTERNEHMENSANLEIHEN
Das angepeilte Gesamtvolumen der Anleihekäufe erhöhten die Notenbanker von derzeit 375 Milliarden auf 435 Milliarden Pfund. Die Entscheidung bedeutet, dass die Notenbank nun wieder Wertpapiere kaufen wird. Das bisherige Gesamtvolumen war bereits ausgeschöpft. Bankvolkswirte waren mehrheitlich von einem unveränderten Volumen ausgegangen.
Darüber hinaus wird die Notenbank künftig Unternehmensanleihen kaufen. Über 18 Monate sollen Papiere im Wert von bis zu 10 Milliarden Pfund erworben werden, hieß es weiter. Die Aussichten für die britische Wirtschaft hätten sich nach dem Brexit-Votum deutlich abgeschwächt, so die Währungshüter.
CARNEY: 'WEITERE LOCKERUNGEN MÖGLICH - KEINE NEGATIVZINSEN'
Alle beschlossenen Maßnahmen könnten in Zukunft noch mehr ausgeweitet werden, sagte Notenbankchef Mark Carney bei einer Pressekonferenz im Anschluss an die Entscheidungen. Beim Leitzins setzte er aber auch Grenzen und erteilte Negativzinsen eine Absage. Bei künftigen Zinsentscheidungen werde die Untergrenze über Null liegen, versicherte der Notenbanker.
Carney und seine Kollegen blicken nach dem Brexit-Votum deutlich pessimistischer in die Zukunft. Seit Bestehen des geldpolitischen Ausschusses habe man noch nie zuvor so stark die Prognosen gesenkt, sagte der Chef-Währungshüter.
PROGNOSEN STARK GESENKT, ABER KEINE REZESSION ERWARTET
Mit einer Rezession rechnen die Notenbanker allerdings nicht. Sie gehen davon aus, dass die Wirtschaft nach einem starken ersten Halbjahr in der zweiten Jahreshälfte weiterhin noch etwas wachsen wird. Nach zum Teil sehr schwachen Stimmungsdaten aus der britischen Wirtschaft hatten einige Experten eine Rezession in Großbritannien erwartet.
Carney verwies auf die grundsätzlichen Grenzen der Geldpolitik. Als Notenbank frühzeitig aktiv zu werden, könne Unsicherheiten senken, sagte der Notenbanker mit Blick auf die Folgen des Brexit-Votums. Einen großen strukturellen Schock könne man aber nicht kompensieren.
MARKTERWARTUNGEN ÜBERTROFFEN
"Mit der Wiederbelebung des Anleihekaufprogramms wurden die Markterwartungen übertroffen", sagt Ulrich Wortberg, Experte bei der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba). Neben den Maßnahmen sei dabei auch entscheidend, dass die Währungshüter für die Zukunft weitere Maßnahmen in Aussicht gestellt haben.
Dementsprechend fielen die Reaktionen an den Märkten aus. Das britische Pfund gab im Anschluss an die Entscheidungen deutlich nach und verlor im Verhältnis zum US-Dollar rund zwei Cent an Wert. Die Renditen britischer Anleihen gerieten ebenfalls unter Druck. Auch am deutschen Aktienmarkt machten sich die Entscheidungen kurzzeitig bemerkbar. Der deutsche Aktienindex DAX zog an, blieb aber unter seinem Tageshoch und gab im weiteren Handelsverlauf die Gewinne wieder ab.
EXPERTEN BEGRÜSSEN ENTSCHEIDUNGEN
Unter Experten wurden die Entscheidungen der Notenbanker mit Wohlwollen aufgenommen. Die Währungshüter hätten ein starkes Signal an die Märkte gesendet und dafür ein weiter geschwächtes Pfund in Kauf genommen, kommentierten Experten des Londoner Forschungsunternehmens Capital Economics. Sollte sich die Konjunktur aber trotz der Maßnahmen weiterhin abschwächen, werde die Notenbank unter starken Druck geraten, weitere geldpolitische Maßnahmen nachzuschieben.
Für Katrin Löhken, Expertin bei der Bank Sal. Oppenheim, hat die Bank of England den großen Wurf geliefert. Dabei habe die Zentralbank viele Maßnahmen in jeweils kleiner Dosis gebündelt, sagte Löhken. Die Bank of England stelle sich damit der Unsicherheit entgegen, die durch die Brexit-Entscheidung entstanden ist. Ihr Ziel sei es, über alle geldpolitischen Kanäle Liquiditäts- und Kreditprobleme zu beheben und die Wirtschaft zu beleben.
LONDON (dpa-AFX)
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