08.05.2015 14:12:40

HINTERGRUND/Crash am Anleihemarkt: Was die Milliarden der EZB anrichten

FRANKFURT (dpa-AFX) - So schnell kann der Wind drehen: Gerade ein paar Wochen ist es her, da schüttelten Fachleute die Köpfe über den nicht enden wollenden Ansturm auf Staatsanleihen, zuletzt noch befeuert durch billionenschwere Kaufprogramm der Europäischen Zentralbank. Das hat dazu beigetragen, dass der Markt für Staatsanleihen heiß gelaufen ist - zu heiß, wie sich jetzt zeigt. Von einem Crash am Anleihemarkt ist die Rede.

Die Anleihekurse waren in den vergangenen Wochen von einem Rekord zum nächsten gesprungen. Hohe Kurse auf dem Anleihemarkt schmälern jedoch - genau anders als im Aktienmarkt - die Renditen der Anleger. Selbst die Zinsen in angeschlagenen Euroländern wurden so immer näher an die Nulllinie gedrückt. Anleger mussten für die Geldanlage teilweise sogar bezahlen, während ein Finanzminister nach dem anderen Geld mit dem Schuldenmachen verdiente. Verkehrte Welt.

NEUE WELT GERÄT INS WANKEN

Diese neue Welt gerät nun ins Wanken. Es sieht ganz so aus, als habe der lang erwartete Ausverkauf von Staatsanleihen begonnen; die Renditen steigen im Umkehrschluss wieder. Seit Ende April hat sich der Zins für zehnjährige Bundesanleihen vervielfacht - solch scharfe Bewegungen sind am Anleihemarkt höchst ungewöhnlich. Nicht nur in Deutschland, auch in ganz Europa und in vielen anderen Ländern sind die Kurse von Staatsanleihen eingebrochen. Was ist passiert?

Im Grunde nicht viel. Wirtschaftlich betrachtet gebe es nur wenig überzeugende Argumente für den Abverkauf, heißt es beim Bankhaus M.M. Warburg. Den Crash hat deshalb so gut wie niemand vorhergesehen. "Aus heiterem Himmel" sei er gekommen, bringen es die Volkswirte der Commerzbank auf den Punkt.

UMSCHWUNG GEHT VON EUROPA AUS

Selbst in den USA sieht es nicht mehr nach raschen Zinsanhebungen durch die Notenbank Fed aus, denn die dortige Konjunktur hat sich zu Jahresbeginn abgekühlt. Das Argument wiegt um so schwerer, als Experten lange Amerika als Ausgangspunkt fallender Anleihekurse ausgemacht hatten. Erst wenn in der größten Volkswirtschaft der Welt die Zinsen stiegen, komme auch die Wende am Anleihemarkt, hieß es.

Jetzt aber kommt der Umschwung ausgerechnet aus dem schwächelnden Euroraum. Dort waren die Verluste am Anleihemarkt in den vergangene Tagen am größten. Und das, obwohl die Europäische Zentralbank (EZB) alles unternimmt, um einen Ausverkauf am Anleihemarkt zu verhindern. Monatlich kauft sie Wertpapiere wie Staatsanleihen im Wert von 60 Milliarden Euro. Bis Herbst 2016 sollen mehr als eine Billion Euro in die Märkte gepumpt werden. Was das maue Wachstum und die schwache Inflation anschieben soll, hat die Kurse von Staatsanleihen in beispiellose Höhen getrieben.

ANLEIHEMARKT TROCKNET AUS

Doch es gibt eine Kehrseite der Billionen-Geldschwemme: Sie trocknet die Märkte aus, weil die EZB in erheblichem Umfang Staatsanleihen vom Markt nimmt. Die scharfen Kursbewegungen der vergangenen Tage seien der Preis, den die Notenbank für ihre Strategie zu zahlen habe, sagt Chefanalyst Jens Klatt vom Handelshaus FXCM. Die Anleihefachleute der Commerzbank urteilen ähnlich: Die Marktteilnehmer müssten sich an starke Kursausschläge gewöhnen, weil die Notenbank mit ihren Käufen den Handel austrockne.

Die EZB ist in den Augen der Fachleute aber nicht allein schuldig. Christoph Rieger von der Commerzbank nennt auch strengere Kapitalvorschriften für Banken, die normalerweise eine wichtige Funktion an den Finanzmärkten übernehmen. Als "Marktmacher" werden sie bezeichnet, weil solche Geldhäuser ständig dafür sorgen, dass ausreichender Marktliquidität vorhanden ist - die Märkte also eben nicht austrocknen. Das zeigt, wie zweischneidig verschärfte Aufsichtsregeln sein können: "Wie gewünscht verhalten sich die Banken weniger riskant, aber als Nebenwirkung werden die Märkte riskanter."

EZB STECKT IN DER ZWICKMÜHLE

Der Einbruch am Anleihemarkt bringt die EZB in die Zwickmühle: Experte Rieger hält es für gut möglich, dass bald Spekulationen aufkommen, wonach die Notenbank ihre Anleihekäufe ausweiten müsse - gerade weil der Anleihemarkt "kaputt" sei. "Weil aber die Anleihemärkte gestört sind, sind Hoffnungen auf eine anhaltende Reparatur durch weitere Interventionen fehl am Platz." Mit anderen Worten: Die EZB könnte die Geister, die sie selbst gerufen hat, nicht mehr los werden./bgf/jsl/das

--- Von Bernhard Funck, dpa-AFX ---