16.10.2013 13:00:00

Wirtschaftsnobelpreisträger Myerson für flexibles EZB-Inflationsziel

Wirtschaftsnobelpreisträger Roger Myerson plädiert im APA-Interview für eine Abkehr der Europäischen Zentralbank (EZB) von ihrem starren Inflationsziel. Die Notenbanker sollten stattdessen einen stabilen Wachstumspfad von nominell 4 Prozent pro Jahr anvisieren. Eine Geldmengen-Obergrenze für die US-Notenbank Fed kann sich Myerson nicht vorstellen.

APA: Haushaltskrise und dramatischer Budgetstreit in den USA. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Myerson: Der absolute Wert der US-Schuldenobergrenze hört sich wie eine wichtige Zahl an. Aber einige Milliarden der Schulden, die das US-Finanzministerium aufgenommen hat, wurden von der US-Notenbank Fed wieder zurückgekauft. Die US-Regierung zahlt also Waren und Dienstleistungen mit neu gedruckten Dollar. Wenn die Politiker wollen, können sie eine Grenze für Verbindlichkeiten der Fed einziehen, wie viele Dollar-Noten die Fed drucken darf. Diese Frage steht aber nicht zur Debatte im Kongress.

APA: Würden Sie die Notenpresse der Fed limitieren wollen?

Myerson: Nein, ich befürworte so etwas nicht. Die Notenbanken müssen die uneingeschränkte Möglichkeit haben, neues Geld zu drucken. Es kann keiner wollen, dass die Geldmenge durch das Goldangebot oder einen anderen Rohstoff bestimmt wird. Die Entscheidungsträger in den Notenbanken müssen aber gegenüber der Öffentlichkeit rechenschaftspflichtig sein. Die Zentralbanker haben die enorme Macht neues Geld zu drucken und müssen überprüfbare Ziele und Regeln verwenden. Die Öffentlichkeit muss auf die Arbeit der Notenbank zurückblicken und beurteilen können, ob die Zentralbanker ihren Job gut gemacht haben.

APA: Nach welchen Regeln handeln Notenbanken?

Myerson: In Europa hat sich das Ziel der niedrigen Inflation durchgesetzt. Dass die EZB ihre Politik nur auf die Inflation abstimmt, ist die falsche Regel. Vor 30 bis 40 Jahren wollten die Notenbanken die Inflation niedrig halten und ein stabiles Wachstum erzielen, damit die Arbeitslosigkeit nicht zu hoch steigt. Zwischen diesen zwei Zielen bestand ein Konflikt und deswegen war es schwierig zu sagen, ob die Zentralbanken das Richtige gemacht haben oder nicht. Unser Finanzsystem wurde durch die Verbriefung von Immobilienkrediten in den USA und die Staatsschuldenkrise in Europa destabilisiert. Ein Gegenmittel wäre nun ein bisschen Inflation.

APA: Sie fordern eine geldpolitische Richtungsänderung der EZB?

Myerson: Es wäre besser, einen stabilen Wachstumspfad anzuvisieren. Zwischen 2000 und 2008 belief sich das Wachstum der Eurozone auf nominell vier Prozent jährlich, davon zwei Prozent reales Wachstum und zwei Prozent Inflation. Die Eurozone liegt derzeit 10 bis 15 Prozent unter diesem Wachstumspfad. Wenn die Eurozone unter dem 4 Prozent Wachstumspfad liegt, sollte die EZB versuchen die Inflation zu erhöhen, über diesem Wachstumspfad sollte die Notenbank die Inflation aber niedrig halten.

APA: Wie würden Sie einem Nicht-Ökonomen die von Ihnen mitentwickelte Mechanismus-Design-Theorie erklären?

Myerson: Die Theorie analysiert Regeln zur Koordination von ökonomischen Akteuren, wenn sie über unterschiedliche Information verfügen und Probleme haben, sich gegenseitig zu vertrauen. Es geht darum, wie Transaktionen - etwa auf einem unvollkommenen Markt - gestaltet werden können, damit alle Teilnehmer den höchstmöglichen Wert erzielen können.

APA: Sie nehmen im Gegensatz zur neoklassischen Mainstream-Theorie an, dass Personen am Markt nicht über vollkommene Information verfügen.

Myerson: Exakt. Vor den 1970er-Jahren hat die ökonomische Theorie zum Großteil angenommen, dass alle Transaktionen zwischen Personen stattfinden, welche über denselben Informationsstand verfügen. In vielen Bereichen stimmt die Annahme, in anderen Bereichen ist sie irreführend. Ich habe mich mit der Frage beschäftigt, wie das Verhalten von Menschen beeinflusst wird, durch die Notwendigkeit andere Personen zu überzeugen.

APA: Aber Sie nehmen weiterhin an, dass die Personen rational handeln?

Myerson: Meine Arbeiten basieren auf der Annahme von Rationalität. Ich habe nicht die Illusion, dass jeder immer völlig rational handelt. Es ist aber eine gute Annahme. Unser Verhalten ist gesteuert davon, was wir wollen.

APA: Mit welchen Fragestellungen beschäftigen Sie sich genau?

Myerson: Mich interessiert, wie Institutionen der Gesellschaft funktionieren und wie man sie verbessern kann, etwa Ineffizienzen in einem Markt oder einem Prämiensystem einer Firma. Eine zentrale Fragestellung der Ökonomie und auch der Politikwissenschaft ist, wie wir die Spielregeln unserer Märkte und Institutionen verändern sollen. Wenn man nicht die Rationalität der Menschen annimmt, dann könnte man sagen: Wir brauchen keine Reform der Institution, wir müssen uns nur besser verhalten.

APA: Haben sich Banker in der Wirtschaftskrise rational verhalten?

Myerson: Rationalität ist natürlich nur eine sehr eingeschränkte und limitierte Annahme. Akteure in einem Finanzsystem - Investoren, Banker und andere Finanzintermediäre - handeln nicht vollkommen rational, machen Dinge in ihrem Leben, die dumm sind. Viele Investoren haben Geld bei Finanzmarkt-Crashs verloren. Sie haben Entscheidungen getroffen, die sie jetzt sicherlich bereuen. Die zentrale Frage der Finanzmarktregulierung ist: Sollen wir die Leute besser ausbilden oder besteht die Lösung darin, die Regeln zu ändern. Banker und Investoren werden weiterhin ihre eigennützigen Interessen ziemlich rational verfolgen. Die Regeln, unter denen Banken operiert haben, haben makroökonomische Instabilität geschaffen. Es ist sinnvoll anzunehmen, dass sie rational auf Regeln reagieren.

Für seine Forschungen auf dem Gebiet der Mechanismus-Design-Theorie - ein Teilgebiet der Spieltheorie - erhielt Myerson mit seinen Kollegen Leonid Hurwicz und Eric S. Maskin im Jahr 2007 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. James Heckman, Finn Kydland und Myerson sind im Rahmen des "8. Wiener NobelpreisträgerInnenseminars" von 14. bis 16. Oktober zu Besuch in Wien.

(Das Interview führte Christoph Schlemmer/APA)

(Schluss) cri/ggr

WEB http://www.federalreserve.gov/ http://www.ecb.int

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