30.07.2014 16:30:31

Wirtschaft hat Angst vor Sanktionsspirale

   Von Andreas Kißler

   BERLIN--In der deutschen Wirtschaft mehren sich Befürchtungen, dass die Sanktionen gegen Russland einen Teufelskreis von Maßnahmen und Gegenmaßnahmen in Gang setzen und damit eine nicht mehr kontrollierbare Entwicklung auslösen könnten. Die Bundesregierung reagierte darauf am Mittwoch aber nur mit Allgemeinplätzen.

   Die Mahnung an die Adresse der Politik kam in Berlin vor allem vom Außenhandelsverband BGA. "Was wir mit Sorge sehen ist, dass es zu einer Sanktionsspirale kommt", sagte BGA-Außenwirtschaftsexperte Gregor Wolf, "dass im Gegenzug jetzt die Russen Sanktionen verhängen oder Energieausfuhren reduzieren, und dass es dann die nächsten Sanktionen von US- oder europäischer Seite gibt."

   Zwar akzeptiere der Bundesverband des Großhandels, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) das Primat der Politik - gleichzeitig fürchtet die Wirtschaft aber eine solche Sanktionsspirale. "Das ist unsere Sorge", betonte Wolf.

   Sorge um Eskalation

   Der Bundesverband deutscher Banken zeigte sich zwar überzeugt, dass die neuen EU-Sanktionen gegen Russland "Wirkung zeigen" werden. "Vor allem das Verbot von längerfristigen Finanzierungen für russische Banken in Staatsbesitz, das die EU und die USA erlassen, wird die externe Finanzierung der russischen Wirtschaft empfindlich treffen", meinte Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer. Wichtig sei aber, die Sanktionen schrittweise zu verschärfen und der russischen Regierung jeweils zu verdeutlichen, welche Schritte für eine Rücknahme der Sanktionen zu erfüllen seien. "Eine unkontrollierbare Eskalation gilt es zu vermeiden", mahnte auch Kemmer.

   Die Befürchtungen der Wirtschaft werden untermauert durch Aussagen aus der Ökonomie. So hält der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, ausdrücklich auch russische Gegensanktionen für möglich. "Die große Frage ist, kommt es zu einer Eskalation, wird Russland diese Sanktionen erwidern?", sagte er am Dienstag in der ARD. "Dann könnten die Kosten für Deutschland wirklich deutlich höher sein." Zwar machten solche Maßnahmen aus wirtschaftlicher Sicht für Russland keinen Sinn, politisch sei das aber möglicherweise anders.

   Bundesregierung weicht Frage nach Gegensanktionen aus

   Doch Vertreter der Bundesregierung wollten am Mittwoch von möglichen Gegensanktionen zum Beispiel bei den russischen Gaslieferungen nichts wissen und wichen Fragen dazu aus. "Das wäre eine spekulative Frage, die ich nicht beantworten kann", meinte die Sprecherin des Wirtschaftsministeriums, Tanja Alemany, bei einer Pressekonferenz. Und Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz fügte bei derselben Veranstaltung an, die Bundesregierung habe "immer deutlich gemacht, dass es hier um politische Fragen geht und nicht wirtschaftspolitische".

   Die Ständigen Vertreter der EU in Brüssel hatten sich am Dienstag auf die Wirtschaftssanktionen verständigt, die nun bis Donnerstag in den europäischen Hauptstädten abgesegnet werden sollen. Sie umfassen vier Bereiche: Restriktionen für den Zugang zum Kapitalmarkt, für militärisch nutzbare Güter, Waffenlieferungen und für Energietechnik. Die konkreten Details sollen aber erst noch in einer Verordnung im EU-Amtsblatt bekanntgegeben werden.

   Maschinen- und Anlagenbau stark betroffen

   Schon jetzt zeichnet sich aber ab, dass bestimmte Branchen und Regionen besonders unter den Sanktionen leiden werden. "Insbesondere dürfte der Maschinen- und Anlagenbau davon betroffen werden, Maschinenbau und petrochemischer Anlagenbau", sagte BGA-Experte Wolf. Bei den militärisch wie zivil nutzbaren so genannten Dual-use-Gütern hänge es davon ab, welche konkreten Güter auf die Liste kämen. Generell werde jedes Unternehmen betroffen sein, das mit Russland Geschäfte macht - sei es aufgrund der Rubelabwertung oder der Unsicherheit im Markt. "Schwerpunktmäßig denke ich, dass es in der nächsten Zeit den Maschinenbau betreffen wird", sagte Wolf.

   Darunter leiden könnten besonders ostdeutsche Mittelständler, wenn sie aus historischen Gründen traditionell auf den russischen Markt fokussiert seien. Zahlen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) belegen das stärkere Engagement ostdeutscher Firmen im Russland-Geschäft - sie zeigen aber auch, dass dieses bei den meisten Firmen keinen entscheidend höheren Anteil ausmacht. Laut Erhebungen der Kammerorganisation kommen 13 Prozent der Exporte deutscher Industrieunternehmen nach Russland aus den ostdeutschen Ländern. Bezogen auf alle Ausfuhren beträgt der Prozentsatz nur 10 Prozent.

   Gabriel geht von schneller Wirkung aus

   Wie schnell die geplanten Maßnahmen in Russland wirken werden, scheint in der Bundesregierung allerdings noch umstritten. Während Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sich überzeugt gab, dass die Sanktionen "sehr schnell Wirkung zeigen", rechnete der Russlandbeauftragte der Regierung, Gernot Erler (ebenfalls SPD) nicht mit einer schnellen Auswirkung der Sanktionen.

   Gabriel unterstrich, die Sanktionen seien "von absoluter Notwendigkeit", denn Moskau schaue immer weiter zu, wie der Bürgerkrieg in der Ukraine eskaliere. "Und ich denke, dass jetzt der Druck erhöht werden muss, endlich alle an den Verhandlungstisch zu bekommen." Gleichzeitig räumte der Wirtschaftsminister ein: "Wir wissen, dass wir auch selber darunter wirtschaftlich leiden können." Der Handel mit Russland sei nicht übermäßig groß, aber er habe eine Bedeutung - doch könne es in einer Zeit, wo es um Krieg und Frieden gehe, nicht vorrangig um Wirtschaftspolitik gehen.

   Wird Wagenburgmentalität in Russland gefördert?

   Erler warnte im Deutschlandfunk vor einer starren Haltung Russlands und forderte eine politische Lösung. "Zu erwarten, dass sich kurzfristig etwas ändert, das ist meines Erachtens nicht realistisch", sagte er. "Deswegen, weil erstens die Sanktionen nicht sofort wirken. Das braucht seine Zeit. Und zweitens so ein bisschen eine Wagenburgmentalität in Russland aufgebaut wird nach dem Motto: Na ja, vielleicht ist das ja sogar eine Chance für uns, etwas unabhängiger vom Westen zu werden."

   Vize-Regierungssprecherin Wirtz räumte ein, es gebe "keine Garantie" dafür, dass die Sanktionen eine Stabilisierung der Ukraine bewirkten. Die EU sei bereit, "auch weiter zu gehen", doch gehe es im Moment darum, die vorhandene Situation zu beobachten. Die Staats- und Regierungschefs hätten aber deutlich gemacht, dass die Sanktionen bei einem russischen Einlenken gegebenenfalls auch zurückgenommen würden. "Das ist auch der Bundeskanzlerin sehr wohl klar, dass es einen langen Atem braucht, um diese Krise in der Ukraine beizulegen und zu einer Stabilisierung dieses Landes zu kommen", konstatierte Wirtz allerdings.

   Mitarbeit: Stefan Lange

   Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

   DJG/ank/smh

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   July 30, 2014 10:14 ET (14:14 GMT)

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