23.11.2015 14:27:00
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WKÖ-Chef Leitl: "Dieses ständige Bergabgehen macht mir Sorgen"
Deutschland habe deutlich mehr Wachstum als Österreich, sinkende Arbeitslosenzahlen, erziele Budgetüberschüsse und baue Schulden ab, sagte Leitl bei den "Wirtschaftspolitischen Gesprächen" in Wien. Österreich könne von seinen Nachbarländern viel lernen, "weil die, so wie die Schweden in den 90er Jahren, die Deutschen und die Schweizer im vergangenen Jahrzehnt, Reformen gemacht haben, die eigentlich wir Österreicher auch hätten machen müssen, aber nicht getan haben". Darüber seien sich alle Experten einig, aber in Österreich habe man sich entschlossen, "den Leuten nicht die Wahrheit zu sagen, sondern eher bequem weiterzuwurschteln".
Leitl kritisierte, dass das Freihandelsabkommen der EU mit den USA, TTIP, in Europa auf starken Widerstand stößt. "Noch bevor wir Europäer wissen, was in diesem TTIP drinnen ist, lehnen wir es vorsichtshalber schon einmal ab", sagte der Wirtschaftskammer-Präsident. "Es kann nicht so sein, dass wir TTIP einmal ablehnen, dass wir Afrika vor unserer Haustüre als natürlichen Partner den Chinesen überlassen, und mit den Russen haben wir uns nachhaltig überworfen, sodass auch die Idee einer transkontinentalen Freihandelszone derzeit nicht realistisch ist."
Clemens Fuest, scheidender Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, hält die Sichtweise, dass Deutschland die wirtschaftliche Wende um den Preis wachsender Ungleichheit geschafft habe, für zu einfach. Tatsächlich seien die Lohnstückkosten in Deutschland im Vergleich zu den großen Industrieländern USA, Frankreich und Großbritannien seit 1995 gesunken.
Die Lohnstückkosten in Österreich hätten sich im Durchschnitt der Währungsunion entwickelt, gegenüber Deutschland aber verschlechtert. Die Reformen in Deutschland hätten aber lange vor der Regierung Schröder begonnen und seien eine Folge der deutschen Einheit. Viele Unternehmen in Ostdeutschland hätten ohne stärkere Lohndifferenzierung keine Überlebenschance gehabt, meinte Fuest. "Hätten wir den Mindestlohn schon gehabt, wäre wahrscheinlich die Zerstörung der ostdeutschen Wirtschaft viel tiefer gewesen." Dass die Lohnstückkosten in Deutschlands gewerblicher Wirtschaft gesunken seien, liege nicht etwa an Lohnsenkungen, sondern es seien Jobs ins Ausland verlagert worden.
Eine wichtige Schraube, an der die Wirtschaftspolitik drehen kann, sind nach Ansicht des künftigen Ifo-Chefs - Fuest soll im April 2016 Hans-Werner Sinn beim Ifo Institut ablösen - die Steuern. "Es bringt nichts, wenn Sie auf die anderen Faktoren schauen, weil Sie die geographische Lage eines Landes, die Ausbildung der Bevölkerung, die Größe des Marktes als Wirtschaftspolitiker nicht beeinflussen können. Aber die Steuern können Sie sofort beeinflussen."
Eine Studie aus dem Jahr 2013 habe gezeigt, dass eine Senkung der Kapitalkosten um 10 Prozent innerhalb von fünf Jahren auch die Investitionen um fast 10 Prozent steigen lasse. Die Ertragssteuern hätten wiederum eine starke Auswirkung auf die Höhe der Löhne. Man habe in Deutschland für den Zeitraum 1993 bis 2011 insgesamt 27.000 Steuerreformen von Gemeinden untersucht. Dabei habe sich gezeigt: "Für jeden Euro, den eine Gemeinde zusätzlich an Gewerbesteuer einsammelt, sinken die Löhne um 25 Cent." Österreich sei ein Land mit sehr hoher Steuerquote. "Man muss sich fragen: Wie tragfähig ist das?"
Die Geldpolitik spiele hingegen keine entscheidende Rolle mehr für die Investitionen, "da ist das Ende der Fahnenstange erreicht". Dennoch sei die Abwertung des Euro kurzfristig eine richtige Maßnahme. "Man kann Lohnkosten nicht von einem Tag auf den anderen senken, da ist eine Abwertung der Währung als Notmaßnahme wichtig." Langfristig sehe das allerdings anders aus. Deutschland brauche hingegen keinen niedrigen Euro, weil dies eine gesamtwirtschaftliche Verzerrung sei und in der Exportwirtschaft zur Entstehung von Ineffizienzen führe.
Die Integration von Kriegsflüchtlingen in den Arbeitsmarkt ist laut Fuest erfahrungsgemäß viel schwerer als bei anderen Einwanderern. "In Deutschland haben wir die Erfahrung gemacht, dass es in der Regel 15 Jahre dauert, bis der Rückstand der Zuwanderer aus Kriegsstaaten gegenüber den anderen Zuwanderern aufgeholt ist." Ihre Einkommen seien im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung deutlich niedriger. Norwegen und die Schweiz hätten sich hingegen auf hoch qualifizierte Zuwanderung spezialisiert. "Diese Gruppe der Zuwanderer hat deutlich höhere Einkommen als der Rest der Bevölkerung."
(Schluss) ivn/itz
WEB http://wko.at

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