Euro am Sonntag-Interview 28.11.2016 17:18:59

Verbund-Chef Anzengruber: "Es bleibt nicht mehr viel Zeit"

von Tobias Meister, Euro am Sonntag

Durch die gut isolierten Scheiben wirkt das Treiben auf dem Wiener Weihnachtsmarkt Am Hof ganz ruhig. Von der Hektik, dem Gedrängel und der Weihnachtsmusik bekommt Wolfgang Anzengruber in seinem Büro nichts mit. Von seinem Fenster im Verwaltungssitz der Verbund AG hat er einen perfekten Blick auf das Treiben. Zeit für einen ausgedehnten Bummel hat er dieser Tage jedoch nicht. Schuld daran ist auch die aktuelle Diskussion über eine mögliche Stromgrenze. Denn an der Grenze zu Österreich soll der Energiehandel ab 2018 eingeschränkt werden.


€uro am Sonntag: Die deutsche Bundesregierung will an der deutsch-österreichischen Grenze ein Engpass-Management einführen. Müssen wir den europäischen Strombinnenmarkt denn jetzt beerdigen?
Wolfgang Anzengruber:
Das wäre wohl etwas voreilig. Allerdings ist die Situation alles andere als befriedigend. Irgendwann bestand die Vision von einem EU-Strombinnenmarkt. Derzeit besteht ein Binnenmarkt in der EU tatsächlich nur zwischen Deutschland, Österreich und Luxemburg. In diesen Ländern haben wir quasi den gleichen Strompreis.

Und wo genau liegt Ihrer Meinung nach das Problem?
Im größten Stromland Europas, in Deutschland, hat die Transportkapazität der Netze nicht mit der Erzeugung des Stroms Schritt gehalten. Wir haben im Norden Deutschlands die Windenergie, die bei entsprechender Wetterlage sehr viel Strom liefert. Aber wir haben die Situation, dass die Strommenge, die im Norden produziert wird, nicht uneingeschränkt in den energieintensiven Süden transportiert werden kann.

Wie kann man das Problem lösen?
Die Netze müssen schnell ausgebaut werden. Damit wurde schon begonnen. Allerdings ist das eine Sache, die sehr lange dauern wird.


Was verstehen Sie unter lange?
Optimisten sprechen davon, dass der Netzausbau in Deutschland in zehn Jahren erledigt ist, Pessimisten gehen von 25 Jahren aus. Dass die jetzt diskutierte Stromgrenze zwischen Österreich und Deutschland die Lösung sein soll, sehe ich allerdings überhaupt nicht. Lassen Sie es mich etwas plakativ erklären: Wenn Sie an der Straße eine Baustelle haben, machen Sie eine Ampelregelung. Jetzt haben wir beim Stromtransport eine Baustelle in Mitteldeutschland, und die Ampel kommt an die Grenze zu Österreich. Das macht keinen Sinn.

Was muss dann während des Baus der Nord-Süd-Trassen geschehen?
Dort, wo ein Engpass entsteht, muss man die sogenannte Ampelregelung einrichten. Das heißt Kraftwerke jenseits der Grenze sind hochzufahren, um die Lieferverpflichtung gegenüber den Kunden zu erfüllen.

Welche Folgen hätte die Stromgrenze an der Landesgrenze?
Der Strom kann bei einer Stromgrenze nicht mehr ungehindert fließen. Das hat dann auch weitreichende Folgen im Energiesektor. Fehlt beispielsweise bei schlechter Witterung in Süddeutschland der Strom durch Photovoltaik, sind wir mit unseren Pumpspeicherkraftwerken als Stütze aufgetreten. Natürlich haben wir umgekehrt auch den Strom, der zu viel war, aus dem Netz genommen. Mir kommt es so vor, als wenn man einen Beinbruch mit Aspirin heilen möchte. Eine nachhaltige Maßnahme kann nur ein Netzausbau bringen.

Was wird passieren, wenn der Netzausbau in Deutschland nicht vorankommt?
Es ist geplant, dass in Deutschland bis zum Jahr 2022 Atomkraftwerke vom Netz gehen. Der Süden ist davon wesentlich stärker betroffen als der Norden. Was das für die Versorgungssicherheit im Süden Deutschlands bedeutet, vermag ich nicht zu sagen. Ich glaube, dass nicht ausreichend Strom aus Norddeutschland transportiert werden kann, da es die Netzkapazitäten schlicht nicht geben wird.

Was schlagen Sie vor?
Hier könnten wir mit Strom aus Österreich den Süden unterstützen. Neben drohenden Netzausfällen könnte sich auch die Landschaft der Tarifzonen noch ändern. Es könnte passieren, dass man vielleicht in Deutschland eine Nord- und eine Südpreiszone hat oder im Extremfall sogar mehrere Preiszonen bekommt. Eine weitere Folge werden deutlich höhere Redispatch-Kosten sein (für die kurzfristige Änderung des Kraftwerkseinsatzes zur Vermeidung von Netzengpässen; Anm. der Redaktion). Je mehr Angebot und Nachfrage auseinanderklaffen, desto höher liegen die Kosten für die Synchronisierung, um das ganze System wieder zusammenzufügen. Für den Endverbraucher wird dies steigende Preise bedeuten.

Führen Sie das Problem der Stromgrenze vielleicht unterschwellig auf die großpolitische Wetterlage zwischen Deutschland und Österreich zurück? Im vergangenen Jahr gab es ja auch Meinungsverschiedenheiten etwa in der Flüchtlingspolitik.
Nein. So weit möchte ich nicht gehen, und ich kann es mir auch nicht vorstellen.

Man konnte sich vor ein paar Jahren viele Dinge noch nicht vorstellen …
… das wäre dann ein Rückfall in die Vorliberalisierungszeiten. Mit der Konsequenz, dass dann jedes Land seine Reservekapazitäten selbst schaffen muss. Das würde große Investitionen zur Folge haben. Zudem würden wir unkontrolliert Überkapazitäten schaffen. Wir haben jetzt so lange für die Liberalisierung der Märkte gekämpft. Mit einer Stromgrenze zwischen Österreich und Deutschland stellen wir nun wieder alles infrage.

Wie genau sollte denn der Strombinnenmarkt einmal aussehen?
Im Grunde sollte die gesamte EU mal eine Kupferplatte werden. Deutschland und Österreich waren immer Musterbeispiele. Natürlich unterscheiden sich für den Endverbraucher die Preise in den einzelnen Ländern noch. Zum Strompreis kommen viele andere Komponenten wie beispielsweise die Netzdurchleitungsgebühren und andere Abgaben und Steuern. Diese Kosten regeln die einzelnen Länder selbst. Im Grunde ist und sollte der Strom ein Gut innerhalb des freien Warenverkehrs in der EU sein.

Was wären die Konsequenzen für Verbund, wenn die Stromgrenze 2018 eingeführt werden würde?
Die Konsequenz wäre eine Preisveränderung. In Deutschland würden die Preise für den reinen Strom ohne Netzkosten und EEG-Umlage nahezu gleich bleiben, in Österreich würden sie steigen. Dadurch würde sich der Wirtschaftsstandort Österreich deutlich verschlechtern. Das hätte natürlich mittel- bis langfristig negative Auswirkungen für Verbund, da die Nachfrage bei möglichen Produktionsverlagerungen der Industrie zurückgehen würde. Für unser gesamtes Verbund-Portfolio gehen wir in so einem Szenario von einem negativen Effekt aus.

Wie lässt sich dann ein Stromkollaps in Deutschland vermeiden, wenn man nicht den Strom aus Österreich nutzt?
Ganz einfach, man müsste in sehr kurzer Zeit neue Kraftwerke bauen. Das wird viel Geld kosten. Fakt ist: Es muss etwas geschehen, denn es bleibt nicht mehr viel Zeit. Es sind gerade noch sieben Jahre bis zum Atomausstieg.

Würden Ihre Pumpspeicherkraftwerke denn wirklich ausreichen, um die Schwankungen auszugleichen?
Auf jeden Fall. Neben Österreich würden die Kapazitäten auch noch zusätzlich für Süddeutschland reichen.

Bei der aktuellen Diskussion ist keine schnelle Lösung in Sicht?
Das zeichnet sich leider so ab. Aber allein die Diskussion bringt schon Nachteile. Was mache ich jetzt mit einem Kunden, der für die nächsten drei Jahre den Strom bei uns kaufen will? Es entsteht zwangsläufig ein Preissignal. Den Kunden interessiert die Stromgrenze nicht. Er will vor Ort einen fixen Preis von uns. Das Preissignal wird heftig hin und her pendeln. Damit bekomme ich relativ schnell unterschiedliche Preise.

Kann es sein, dass Verbund auch infolge der Stromgrenze durch Zukäufe in Deutschland wachsen wird?
Das will ich nicht ausschließen. Wenn entsprechende Objekte auf den Markt kommen, werden wir uns diese sowohl auf der Erzeugerseite wie auch auf der Stadtwerkeseite anschauen.

Vita

Der Vorstandschef: Der 1956 geborene Wolfgang Anzengruber studierte an der TU Wien Maschinenbau und Betriebswirtschaft und startete seine Laufbahn 1983. Sieben Jahre später wechselte er zu ABB. 1999 wurde er in den Vorstand der Salzburger Stadtwerke berufen, ab 2000 war er Vertriebsvorstand der Salzburg AG. 2003 wechselte er als Vorstandsvorsitzender zur Palfinger AG. 2009 erfolgte seine Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstands und CFO der Verbund AG. Seit Januar 2014 leitet er das Unternehmen als CEO. Anzengruber ist verheiratet und Vater von drei Töchtern.

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