29.05.2014 07:36:32
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Ukraine stellt sich im Gasstreit mit Russland stur
Im Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland verhärten sich kurz vor einem wichtigen Vermittlungsgespräch am Freitag in Berlin die Fronten.
Wie der ukrainische Ministerpräsident am Mittwoch ankündigte, wird sein Land "den hohen politischen Preis", den Russland für die Lieferung seines Erdgases in die Ukraine verlangt, nicht bezahlen. Außerdem würde sich die Ukraine weigern, die bisherigen Gasschulden auch nur ansatzweise zu bezahlen, solange kein neuer Lieferpreis ausgehandelt sei.
Der staatliche russische Gaskonzern Gazprom verlangt, dass die Regierung in Kiew ihre Schulden in Höhe von 3,5 Milliarden US-Dollar für bereits bezogenes Gas aus Russland bezahlt. Sollte die Regierung das nicht bis zum 2. Juni getan haben, will Moskau jegliches weitere Erdgas nur noch gegen Vorkasse in die Ukraine liefern. Damit würde die Ukraine von russischen Erdgaslieferungen praktisch abgeschnitten, was in der Folge auch die Gasversorgung der Europäischen Union unterbrechen würde. Die Ukraine ist ein wichtiges Transitland für Europas Gasimporte. 36 Prozent des in die EU importierten Erdgases stammen aus Russland.
Im April hatte Russland nach der Entmachtung des prorussischen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch seine Gasrabatte für die Ukraine aufgehoben. Seitdem muss die Ukraine für den Import des Energierohstoffs knapp 80 Prozent mehr bezahlen.
"Wir müssen einen neuen Deal, einen neuen Gas-Deal finden, der marktbezogen sein muss", sagte der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk am Mittwoch in Berlin. "Wir verlangen keine Rabatte, aber wir werden niemals den hohen politischen Preis von 500 Dollar pro tausend Kubikmeter zahlen."
Kiew argumentiert, Gazproms einseitige Preiserhöhung von 268,50 Dollar auf 485 Dollar je tausend Kubikmeter Erdgas sei politisch motiviert gewesen. EU-Kommissar Günther Oettinger versucht, zwischen beiden Seiten zu vermitteln. Er hat im Mai bereits mehrere Dreier-Verhandlungen anberaumt, um den Streit zu schlichten.
Zum ersten Mal aber wirkte Oettinger am Mittwoch etwas verzweifelt angesichts der ukrainischen Weigerung, Moskau zumindest einen Teil der offenen Gasrechnung zu bezahlen.
"Meine Erwartung ist, dass die Russen am Ende einen Marktpreis vorschlagen werden. Aber andererseits glaube ich auch, dass die Ukraine in einer schlechten Position ist, wenn sie diese Teilzahlung nicht erbringt ... für Gas, das bereits geliefert wurde", sagte Oettinger in einer Rede vor Jazenjuks Äußerungen.
Der EU-Energiekommissar fügte hinzu, dass die erste Rate von 2 Milliarden Dollar nur für Gas gezahlt werden sollte, das bis Ende März geliefert wurde, als der Preis noch "unstrittig" gewesen sei.
Aber Kiew glaubt offensichtlich, dass es mit einer Teilzahlung seine Verhandlungsposition schwächen würde. "Um [die Rückstände] zu bezahlen, müssen wir den Preis herausfinden", sagte Jazenjuk auf einer Energiekonferenz in Berlin. "Wir können über den Marktpreis sprechen, der mag bei 250 Dollar oder 350 Dollar liegen, aber lasst uns diese Art von Diskussion führen", forderte er.
Für den Fall, dass sich die Ukraine und Russland nicht einig werden, hat Kiew bereits damit gedroht, Gazprom vor ein Schiedsgericht in Stockholm stellen zu lassen.
Auf die Frage, was der EU-Kommissar von den Äußerungen Jazenjuks halte, antwortete eine Sprecherin Oettingers: "Wir stehen mit beiden Seiten in Verbindung mit dem Ziel sicherzustellen, dass die trilateralen Gespräche am Freitag wie geplant weitergehen können."
Oettinger umriss am Freitag zudem Vorschläge, wie die EU grundsätzlich ihre Energiesicherheit erhöhen und ihre Abhängigkeit von russischem Erdgas senken könnte.
In einem Bericht, den Oettinger in Brüssel vorstellte, hieß es, die EU sei heute besser in der Lage, mit einer kurzfristigen Versorgungsstörung fertig zu werden, als im Jahr 2009. Damals hatte Moskau schon einmal der Ukraine den Gashahn zugedreht. Der Bericht warnte jedoch, dass die EU Schwierigkeiten bekommen würde, eine Versorgungslücke zu schließen, wenn die Gasimporte langfristig gestört würden.
Nach einem milden Winter in Europa sind die Gaslager der EU gut gefüllt. Einige Länder könnten auch dank einer neuen Infrastruktur, mit der Gas in zwei Richtungen durch die Leitungen gelenkt werden kann, einfacher alternative Vorräte anzapfen, sagte Oettinger.
Der Bericht ruft die EU-Regierungen dazu auf, sogenannte Stresstests im Bereich der Energiesicherheit einzuführen, um die Versorgungsrisiken für den nächsten Winter besser einschätzen zu können. Die EU-Staaten sollten daran arbeiten, ihre Gaslager aufzustocken, eine Notfall-Infrastruktur zu errichten und - falls nötig - die Energienachfrage zu senken oder auf alternative Brennstoffe zurückgreifen. Zudem sollten sie mögliche alternative Energiequellen wie verflüssigtes Erdgas ausloten, empfiehlt der Bericht.
Die EU-Kommission will sich fortan stärker mit den nationalen Regierungen und Energiebetreibern absprechen, um die Gaslager auf dem gesamten Kontinent zu verbessern und Notfallpläne für die am stärksten gefährdeten Regionen aufzustellen. Sie will auch dabei helfen, Infrastruktur zu errichten, mit der Erdgas in zwei Richtungen durch Pipelines geschleust werden kann.
Analysten sagen jedoch, dass diese Maßnahmen im Falle einer längerfristigen Störung nicht ausreichen werden. "Sollte es einen längeren Streit geben, dann werden sämtliche Vorbereitungen der Welt das Problem nicht beseitigen, weil rund ein Drittel des russischen Gases hier nicht ankommen wird. Das heißt, dass Gas entweder von anderswo herkommen muss, oder es muss Einschnitte im Verbrauch geben", sagt Simon Pirani, Energiewissenschaftler beim Oxford Institute for Energy Studies an der britischen Oxford University.
Im Rahmen einer langfristigen EU-Energiepolitik wird die EU-Kommission vermutlich nach dem Sommer verbindliche Ziele vorschlagen, um die Energieeffizienz auf dem Kontinent zu erhöhen. Diesen Schritt hält sie für grundlegend, um den Energieverbrauch zu senken.
Die EU hat auch gesagt, dass sie künftig noch mehr Erdgas aus Norwegen beziehen will. Das Land ist bereits jetzt der zweitgrößte Gaslieferant der EU, aber EU-Beamte räumten am Mittwoch ein, dass das nordische Land längst "knapp an der Grenze" dessen sei, was es exportieren könne. Und Importe aus anderen potenziellen Lieferländern, etwa Algerien, könnten auch nicht schnell genug gesteigert werden.
Dow Jones
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