26.05.2014 10:30:31

Sieg des Front National bei Europawahl erschüttert Frankreich

   Von Stacy Meichtry

   Frankreichs Rechtsaußen-Partei Front National hat bei den Wahlen zum Europaparlament am Sonntag einen Erdrutschsieg errungen. Dagegen verpassten die Wähler den etablierten Großparteien einen heftigen Schlag. Viele Franzosen werfen ihnen vor, dass sie die heimische Wirtschaft in die Flaute geführt hätten, während sie gleichzeitig die ungeliebte Technokratie der EU unterstützten.

   Laut vorläufigen Ergebnissen erreichte der Front National unter Führung der hitzköpfigen Marine Le Pen 25,4 Prozent der Stimmen in Frankreich. Damit lag sie deutlich vor der konservativen UMP, die mit 21 Prozent zweitstärkste Partei wurde. Die regierenden Sozialisten (PS) von Präsident François Hollande kamen gerade einmal auf 14,5 Prozent.

   "Das souveräne Volk hat erklärt, dass es die Kontrolle über sein Schicksal zurückhaben möchte", sagte Le Pen am Sonntag nach Schließung der Wahllokale. "Unsere Menschen wollen nur eine Politik: Eine französische Politik für Frankreich."

   Der Erdrutschsieg bringt Le Pen in die Rolle der Anführerin populistischer Abgeordneter im Europaparlament, die die EU in ihrer heutigen Form und die Gemeinschaftswährung Euro abschaffen wollen. Für die beiden Volksparteien UMP und PS dagegen ist er eine peinliche Schlappe.

   Das Wahlergebnis in Frankreich spiegelt die Stimmung einer Nation wider, die sich in einem tiefgreifenden Wandel befindet. Der Aufstieg des Front National - einer polarisierenden Partei, deren Ursprünge in der Anti-Einwanderungs-Rhetorik des Gründers Jean-Marie Le Pen liegen - stürzt Frankreich in eine Identitätskrise. Die Franzosen rühmen sich nicht nur dafür, Gründungsmitglied der EU zu sein, sondern Wiege der Aufklärung und beständiger internationaler Kämpfer für Demokratie, aufbauend auf den Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

   Der Front National hat in der Vergangenheit wiederholt bei Wahlen aufgetrumpft. Noch nie jedoch hat die Partei am Ende einen Sieg davontragen können. Im Jahr 2002 schockierte Jean-Marie Le Pen die Wähler, als er bei den Präsidentschaftswahlen 17 Prozent erreichte und damit den sozialistischen Kandidaten vom zweiten Platz verdrängte. Im zweiten Wahlgang verlor er aber deutlich gegen Jacques Chirac. 2009 hatte die Partei bei den Wahlen zum Europaparlament lediglich 6 Prozent der Stimmen auf sich ziehen können.

   Seither ist die Arbeitslosenquote in Frankreich auf zweistellige Prozentwerte gestiegen und die politische Klasse tut sich schwer, eine Strategie für den Wiederaufbau der Wirtschaft zu artikulieren. Von dieser kollektiven Schwäche profitiert Marine Le Pen. Die Tochter des Parteigründers hat die fremdenfeindliche Rhetorik ihres Vaters abgelegt und sich stattdessen zur führenden Euro-Kritikerin Frankreichs aufgeschwungen. Ihre Forderung ist eindeutig: Frankreich soll die Gemeinschaftswährung verlassen.

   "Der heutige Abend ist eine Wunde", sagte Ségolène Royal, Frankreichs Umweltministerin und Mutter der Kinder von Präsident Hollande. "Diejenigen, die gewählt haben, haben eine Partei in Führung gebracht, die Europa und das Ansehen Frankreichs zerstört", fügte sie hinzu. François Fillon, einflussreicher Abgeordneter der UMP, erklärte, die Wahlen zeigten "einen Bruch zwischen Frankreich und Europa".

   Le Pen verdankt ihren Erfolg einer weitreichenden Ernüchterung der Franzosen über die EU. Ihre Kritik richtet sich nicht nur gegen den Euro, sondern auch gegen den ihrer Meinung nach zu laxen Ansatz der EU bei der Bekämpfung massenhafter illegaler Zuwanderung auf den europäischen Kontinent.

   In ihrer Rede am Sonntagabend spielte Le Pen mit den Sorgen des Volkes vor einem Absturz des einstigen Imperium Frankreichs. Sie kämpfe dafür, die "Herrlichkeit Frankreichs" wiederherzustellen, sagte Le Pen.

   Ihre Entschlossenheit, mit politischen Normen zu brechen, zeigte sich auch in der Forderung an Präsident Hollande, er solle seine präsidiale Macht nutzen, um das Parlament aufzulösen, damit es das Volks repräsentiere und in der Lage sei, "eine Politik der Unabhängigkeit [zu verfolgen], die die Menschen heute gewählt haben".

   Le Pen verdankt ihren Wahlsieg landesweiten Zugewinnen. Selbst in der Region Paris - einer traditionellen Hochburg der Sozialisten, in der die Ablehnung der nationalistischen Ideen Le Pens hoch ist - erreichte der Front National laut Hochrechnungen Platz zwei und ließ die Sozialisten hinter sich.

   Selbst Wähler, die ihr Kreuz nicht bei den Rechtsextremen gemacht haben, gestanden am Sonntag ein, dass die Liebe zwischen Frankreich und den technokratischen EU-Institutionen, die viele als zu undurchsichtig und ineffektiv bei der Bekämpfung der Alltagssorgen betrachten, erloschen sei. "Man versteht nur schwer, was Europa ist und wie es strukturiert ist", sagte Fabrice Sadoun, ein 64-jähriger Physiker, der am Sonntag für eine Mitte-rechts-Partei stimmt. "Ich würde das nicht Demokratie nennen. Es ist zu atomisiert."

   Thierry Bigard, ein 50-jähriger Geschäftsmann aus Paris, der die Grünen gewählt hat, machte seinem Unmut gegenüber den etablierten Parteien Luft. Sie "haben keinen Plan für die Zukunft", sagte er. "Es ist alles nur Copy-and-paste."

   Kontakt zum Autor: konjunktur.de@dowjones.com

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   May 26, 2014 04:30 ET (08:30 GMT)

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