15.08.2014 09:50:30
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Russischer Ukraine-Konvoi gibt weiter Rätsel auf
Von Paul Sonne in Charkiw und James Marson in Moskau
Ein russischer Lastwagenkonvoi, der nach Angaben Moskaus Hilfsgüter für die notleidende Bevölkerung der Ostukraine an Bord hat, gibt weiter Rätsel auf. Am Donnerstag kam die Fahrzeugkolonne kurz vor der Grenze zu den von Rebellen kontrollierten Gebieten der Ukraine zum Stehen. Seitdem wächst die Angst, dass der Konvoi ohne Erlaubnis aus Kiew auf ukrainisches Territorium fahren könnte. Ein solcher Vorstoß würde die Spannungen zwischen Russland und dem Westen dramatisch erhöhen.
Die ukrainische Regierung fürchtet, dass der angebliche Hilfskonvoi in Wahrheit ein Trojanisches Pferd und möglicherweise Vorbote eines russischen Militäreinfalls ist. Seit mehr als zwei Tagen zieht der Konvoi internationales Medieninteresse auf sich, weil er sich quer durch Russland auf das Konfliktgebiet zubewegt, obwohl es keinerlei zwischenstaatliche Abmachung über seine Handhabe gibt.
Während des Streits um den Konvoi haben die prorussischen Rebellen in der Ostukraine ihre Führungsspitze ausgetauscht. Unter anderem gaben sie den Rücktritt ihres Kommandeurs mit dem Decknamen Igor Strelkow sowie eines anderen führenden Mitglieds bekannt.
Die Irrfahrt der Lastwagen lenkt ab
Die Europäische Union kündigte am Donnerstag an, dass sich der russische Staatschef Wladimir Putin und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko mit dem EU-Kommissionpräsidenten José Manuel Barroso treffen wollen. Die Details für dieses Gespräch stehen noch nicht fest, sollen aber Handelsfragen und den russisch-ukrainischen Streit um Erdgaslieferungen umfassen. Die Ankündigung erfolgte nach einem Telefonat zwischen Putin und Barroso, dem zweiten Telefongespräch zwischen den beiden in dieser Woche.
Mit der Entsendung eines Lastwagenkonvois in die Ostukraine versucht die russische Regierung nicht nur, auf die zunehmend prekäre Lage vieler Zivilisten aufmerksam zu machen, die zwischen die Fronten des Gebietskonflikts geraten sind. Sie versucht auch die Regierung in Kiew dafür bloßzustellen, dass sie sich um ihre eigenen Landsleute nicht stärker kümmert. Die Irrfahrt der Lastwagen durch Russland lenkt zudem davon ab, dass nach Ansicht der USA und der ukrainischen Regierung laufend neue russische Waffen über die Grenze in die Ukraine gelangen.
Am Donnerstag setzte die Ukraine einen eigenen Hilfstransport in Bewegung. Anfangs wirkte das wie eine PR-Schlacht zwischen den beiden Ländern. Aber die Situation hat einen explosiven Beigeschmack, seitdem sich die russische Fahrzeugkolonne - zeitweise begleitet von russischen Militärfahrzeugen und Hubschraubern - auf jenen Teil der Grenze zubewegt hat, über den die Ukraine keine Kontrolle mehr besitzt.
Die Regierung in Kiew hat unter Rückendeckung der USA und der EU verlangt, dass ukrainische Zöllner den Transport untersuchen müssten. Anschließend solle das Rote Kreuz die Lieferung erhalten und an notleidende Menschen verteilen. Solange diese Bedingung nicht erfüllt ist, sehe die ukrainische Regierung in dem Konvoi eine Bedrohung.
Laut Maria Sacharowa, einer Sprecherin des russischen Außenministeriums, habe Russland von Anfang an die Position vertreten, dass der Hilfskonvoi unter der Aufsicht des Roten Kreuzes die Grenze passieren würde. "Ich kann Ihnen nicht speziell sagen, wie die Inspektion des Roten Kreuzes stattfinden wird - ob sie sich hinsetzen, aufstehen, oder von Auto zu Auto gehen werden und jedes einzelne begutachten", sagte Sacharowa. "Aber sie werden überprüfen, welche Art von Fracht in die Ukraine gesandt wird." Das Ministerium schlug zudem eine Waffenruhe vor, damit der Konvoi sicher die Grenze passieren könne.
Aber selbst als der Konvoi bereits nahe an der Grenze war, teilte das Internationale Rote Kreuz mit, es gebe noch keine Vereinbarung, das ihm eine Beteiligung ermögliche. Ewan Watson, ein Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, sagte am Donnerstag, die Hilfsorganisation habe den Kontakt zu dem Konvoi aufgenommen und werde als Vermittler dienen. Noch aber begleite das Rote Kreuz die Lastwagen nicht. "Wir haben den Konvoi noch nicht übernommen", sagte Watson. "Er steht nicht unter unserer Aufsicht."
Säcke voller russischem Buchweizen
Nach Auskunft des Sprechers müssten zunächst eine Reihe offener Fragen geklärt werden. Unter anderem fehle eine Vereinbarung zwischen Russland und der Ukraine zu den Regularien für die Grenzüberschreitung und Zollabwicklung. Der Leiter des Roten Kreuzes für Europa und Zentralasien, Laurent Corbaz, sollte am Donnerstag in der Region eintreffen. "Inmitten des Mediensturms betonen wir, dass die Hilfslieferung in die Ostukraine nicht politisiert werden sollte. Unsere Priorität bleibt es, Menschen in Not zu helfen" erklärte das Rote Kreuz in einer Twitter-Nachricht.
Reporter durften am Donnerstag einen kurzen Blick in einige der russischen Lastwagen aus dem Konvoi werfen. Einer hatte Säcke voller russischem Buchweizen geladen.
Donnerstagnacht standen die Lastwagen auf einem Feld in der Nähe der russischen Stadt Kamensk-Schachtinski, knapp 40 Kilometer von dem ukrainischen Grenzstück entfernt, das von den Rebellen kontrolliert wird.
Einige Analysten haben bereits vor unnötiger Hysterie gewarnt. Sie sagen, wenn Russland wirklich Waffen in die Ukraine schmuggeln wollte oder einen Militäreinmarsch plane, könne es das auf wesentlich einfachere und weniger öffentliche Art tun.
Dennoch könnte es die ohnehin gespannte Lage weiter aufheizen, wenn der Konvoi ohne Erlaubnis aus Kiew über die Grenze rollen sollte. "Dann wird eine sehr riskante Situation entstehen", sagt Fjodor Lukjanow, ein russischer Außenpolitikexperte.
Mitarbeit: Andrew Morse, Andrey Ostroukh und Laurence Norman
Kontakt zum Autor: redaktion@wallstreetjournal.de
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August 15, 2014 03:48 ET (07:48 GMT)
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