14.07.2014 12:04:30
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Portugal ist nicht das größte Problem der Eurozone
Von Simon Nixon
In der vergangenen Woche gab es ein echtes Déjà-vu. Die Angst vor dem Kollaps einer portugiesischen Bank verschreckte zunächst den Markt. Dann fielen die Aktienkurse, und die Renditeabstände bei den Staatsanleihen in der südlichen Peripherie weiteten sich aus, während sie sich in den nördlichen Kernstaaten verengten. Eine spanische Bank sagte ihre Anleiheemission ab, während eine griechische Auktion weniger brachte als gehofft.
Die Geister, von denen die Märkte angenommen hatten, dass sie endlich gebannt seien, jagten Anlegern nun wieder neuen Schrecken ein: Die Brüchigkeit des Bankensystems der Eurozone und damit verbunden die Gefahr der Ansteckung.
Einige werden sagen, ein Rücksetzer am Markt war längst überfällig. Die Flut des Geldes, das sich über Südeuropa ergossen hat, war zuletzt schon außergewöhnlich. Die Märkte waren für jede Regierung und jede Bank weit geöffnet. Sogar Zypern hat Staatsanleihen begeben, und die größte Bank auf der von einer schweren Schuldenkrise geplagten Insel ist auf dem Weg zu einer Kapitalerhöhung. Der Markt für europäische Hochzinsanleihen läuft nach Handelsvolumen so gut wie noch nie.
Aufseher haben zuletzt schon Anleger davor gewarnt, die noch immer drohenden Risiken in der Eurozone bei ihren Geschäften nicht zu unterschätzen. Das ist insofern geradezu pervers, weil die Geldpolitik im Währungsraum explizit deshalb so locker ist, damit Investoren derartige Risiken eingehen.
Die Entwicklung bei Banco Espírito Santo mag vielen Investoren als willkommene Entschuldigung dafür gedient haben, Geld aus dem Spiel zurückzuziehen. Die portugiesische Bank wird von einer Kaskade von familiendominierten Holdinggesellschaften dominiert und kam unter Druck, als sich Unregelmäßigkeiten bei der ultimativen Muttergesellschaft Espírito Santo International SA zeigten, einem Konglomerat, das diverse Beteiligungen in der ganzen Welt unterhält. Nicht nur war das Geldhaus Kreditgeber für diese Familienbeteiligungen, es erlaubte auch den Gesellschaften über ihr in der Aktionärsrangfolge, den eigenen Kunden direkt Anleihen zu verkaufen. Am Markt kam die Angst vor einem schwarzen Loch auf.
Totgesagte leben länger
Es gibt aber gute Gründe anzunehmen, dass Banco Espírito Santo keine Bedrohung der finanziellen Stabilität Portugals darstellt, von der Eurozone einmal ganz zu schweigen. Es gibt andere Risiken, um die sich Investoren mehr Sorgen machen sollten - und vielen waren die auch ein Faktor für den Ausverkauf der vergangenen Woche.
Die Situation bei der Banco Espírito Santo scheint auch besser eingegrenzt zu sein, als dies anfänglich den Anschein hatte. Das Engagement gegenüber Gesellschaften, die höher in der Aktionärsrangfolge stehen, liegt anscheinend bei gerade einmal 1,1 Milliarden Euro. Das erscheint angesichts einer Bilanzsumme von 100 Milliarden Euro und 7 Milliarden Euro Eigenkapital beherrschbar - da 2,1 Milliarden Euro über dem regulatorischen Minimum. Selbst wenn der schlimmste Fall einträte und die Bank unter Druck geriete, für Garantien einzutreten, die der kontrollierende Aktionär gegenüber den Käufern seiner Anleihen eingegangen ist, so würde die Gesamtbelastung um 700 Millionen auf 1,8 Milliarden Euro steigen.
Das Debakel bei Banco Espírito Santo ist ohne Zweifel schmerzhaft für die Anteilseigner. Nicht wenige von ihnen haben erst kürzlich neue Aktien aus einer 1 Milliarden Euro schweren Kapitalerhöhung gezeichnet und müssen bereits daraus erhebliche Verluste tragen. Seit Anfang Juni haben sie mehr als die Hälfte ihres Wertes verloren.
Nun stehen sie nicht nur vor der wenig erquicklichen Aussicht, die Löcher zu stopfen, die von den kontrollierenden Aktionären aufgerissen worden sind, sondern auch vor dem Risiko, dass ein 25-prozentiges Paket der Aktien ihrer Bank auf den Markt kommt, sollte die Familie gezwungen sein zu verkaufen. Sollte sie sich weigern, das nötige Geld bereitzustellen, so blieben der portugiesischen Regierung nach wie vor 6 Milliarden Euro aus dem Rettungspaket, die für Bankenrekapitalisierungen vorgesehen sind und die Löcher stopfen könnten. Gleichwohl käme das einer noch weitergehenden Verwässerung der Anteile für die Aktionäre gleich.
Aber es gibt keine Gründe bisher, weshalb die Probleme der Banco Espírito Santo langfristigere Engpässe für Portugal heraufbeschwören sollten - abgesehen von einem kurzfristigen Schlag, den sicherlich die Glaubwürdigkeit des Landes versetzt bekäme. Portugal fährt bereits die Ernte eines weitreichenden Reformprogramms ein: Das Wachstum wird mit 1,2 Prozent über dem Eurozonendurchschnitt erwartet und dürfte bis auf 1,5 Prozent im nächsten Jahr steigen. Die Arbeitslosigkeit ist sieben Quartale in Folge gefallen - auf zuletzt 14,3 Prozent von einem Höchstwert von 17,5 Prozent. Das hat die Inlandsnachfrage wieder in Gang gebracht.
Risikofaktor europaweite Wachstumsflaute
Von den Problemen bei der Banco Espírito Santo abgesehen sollte das Wirtschaftswachstum Portugals insgesamt von einem inzwischen gesünderen Bankensystem gestützt werden. Portugals zweitgrößter börsennotierter Kreditgeber, Millennium BCP, besorgt sich 2,25 Milliarden Euro frisches Kapital mit Hilfe einer komplett gezeichneten Bezugsrechtsemission. Das portugiesische Bankensystem sollte Nutznießer der neuen langfristigen günstigen Finanzierungsfazilität der Europäischen Zentralbank werden, die im Juni angekündigt worden ist.
Worum sich Investoren weniger Sorgen machen sollten, ist also Portugal, wohl aber der Umstand, dass das Wachstum in einigen der größten Volkswirtschaften der Eurozone anscheinend zum Erliegen kommt.
So deuten die letzten verfügbaren Wirtschaftsdaten darauf hin, dass die Produktion im Juni in Deutschland, Frankreich und Italien geschrumpft ist. Einiges davon mag auf einmalige Faktoren zurückzuführen sein, darunter auch Witterung und beginnende Ferien. Auch scheint die Krise in der Ukraine die deutschen Exporte beeinträchtigt zu haben.
Die eigentliche Enttäuschung stellt aber die schwache Erholung der neuen kranken Männer Europas das - Frankreich und Italien. Beide sind nur wenig mit den Reformen vorangekommen, die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit andernorts in der Eurozone beflügelt haben. Während J.P. Morgan in der vergangenen Woche den Wachstumsausblick für Spanien in diesem Jahr auf 1,5 Prozent anhob, und damit die Erfolge der strukturellen Reformen in dem Land würdigte, senkte die Bank den Daumen über Italien und rechnet jetzt mit 0 Prozent Wirtschaftswachstum dort.
Angesichts der der Größe der italienischen Wirtschaft und dem Ausmaß der öffentlichen Verschuldung - bei 133 Prozent des Bruttoinlandsproduktes - ist mangelndes Wachstum nach wie vor die größte einzelne Gefahr für die Stabilität der Währungsgemeinschaft. Sehr zur Sorge vieler Politiker und Investoren scheint Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi das meiste politische Kapital dafür einzusetzen, Veränderungen bei den Fiskalregeln in Europa durchzusetzen, die es Italien erlauben würden, sich mehr Geld zu leihen, anstatt mit den Reformen fortzufahren, die geeignet wären, Italiens Wachstumsaussichten zu verbessern.
Als Renzi im Februar in sein Amt kam, da kündigte er ein ambitioniertes 100-Tage-Programm an, um eine Wende in Italien einzuleiten. Bislang hat er in keiner Hinsicht geliefert, sich jedoch nun eine neue Frist von 1.000 Tagen gesetzt. Bislang scheint die einzige substanzielle Reform, die Italien in diesem Jahr wohl erwarten darf, die sein, die das Wahlsystem und den Senat betrifft - zweifellos von großer symbolischer Bedeutung für die politische Klasse Italiens, aber ohne jede wirtschaftliche Konsequenz.
Weitreichende Reformen der öffentlichen Verwaltung, des Rechtssystems, der Staatsausgaben und des Arbeitsmarktes sind versprochen, doch Details sind bislang kaum bekannt, und zeitlich ist die Umsetzung komplett unklar.
Solange Renzi nicht beweist, dass er mehr schafft, als Reformen im eigenen Land lediglich anzukündigen, sollten sich Investoren besser auf kipplige Wochen einstellen wie die vergangene.
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July 14, 2014 05:55 ET (09:55 GMT)
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