Diese Ankündigung der portugiesischen Regierung ist ein Meilenstein in der finanziellen Erholung der Eurozone, aber auch eine riskante Wette, dass eines der hochverschuldetsten Länder des Kontinents nun auf eigenen Füßen stehen kann.

   Wie der portugiesische Ministerpräsident Pedro Passos Coelho am Sonntag mitteilte, werde sein Land auf eine Präventiv-Kreditlinie seiner Geldgeber aus EU-Ländern und dem Internationalen Währungsfonds verzichten. Nunmehr werde sich Portugal allein auf die Kapitalmärkte stützen, um seinen künftigen Finanzbedarf zu decken. Im Juni wird das Land eine letzte Tranche von 78 Milliarden Euro aus dem internationalen Rettungsschirm erhalten.

   Dieser saubere Ausstieg aus dem dreijährigen Kreditprogramm ist eine überraschende Kehrtwende für die ärmste Volkswirtschaft Europas, die ihre Rezession im vergangenen Jahr langsam abzuschütteln begann, aber noch immer unter hoher Arbeitslosigkeit, hohen Schulden und großen Ineffizienzen leidet.

   Diese Schwachstellen dürften noch jahrelang fortbestehen und deshalb lässt sich das Rettungsprogramm für Portugal insgesamt nicht eindeutig als Erfolg verbuchen. Kern des Rettungsschirms war eine strikte Sparformel, die vor allem Deutschland als das beste Rezept gegen die Schuldenkrise in der Eurozone gepriesen hatte, um einen Kollaps des Euro zu verhindern.

   "Ich weiß, dass sich die Rückkehr des Wirtschaftswachstums im vergangenen Jahr für eine ganze Menge von Leuten noch nicht in besseren alltäglichen Lebensbedingungen niederschlägt", sagte Passos Coelho in einer im Fernsehen übertragenen Ansprache. Aber er fügte auch hinzu, dass Portugal "auf dem richtigen Weg" sei und "sich auf einer solideren und nachhaltigeren Basis erholt, als wir sie in der Vergangenheit hatten".

   Jene Länder der Eurozone, die Rettungshilfen in Anspruch genommen haben, wurden von der sogenannten Troika aus IWF, Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank zu harschen Haushaltseinschnitten und Strukturreformen verpflichtet. Diese Vorgaben waren in Europa umstritten; in allen vier Ländern, die ab 2010 internationale Rettungsschirme erhielten, gab es erbitterte Volksproteste.

   Portugal ist nach Irland das zweite dieser Länder, das es wieder in die finanzielle Unabhängigkeit geschafft hat. Griechenland und Zypern erhalten nach wie vor Rettungshilfen.

   Anhänger der Sparformel sehen in Portugal einen Beleg für den Erfolg ihres Rezepts. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte am Sonntag: "Der angekündigte Abschluss des Programms zeigt erneut, dass unser gemeinsam in der Eurozone eingeschlagene Weg der richtige ist."

   Dass Portugal wieder am regulären Kapitalmarkt Schulden aufnehmen kann, liegt aber auch an gewinnhungrigen weltweiten Anlegern. Im Land selbst trugen die strengen Sparauflagen des Rettungsprogramms mit dazu bei, dass sich die Rezession länger hielt als erwartet, was die Einkommen und Sozialleistungen für viele der 10 Millionen Einwohner heftig schmälerte.

   Trotz des jüngsten Aufschwungs ist Portugal heute stärker verschuldet als vor dem Rettungsschir. Das zeigt, welch großes Risiko die Regierung von Passos Coelho mit ihrer Ankündigung eingeht, keinen Präventiv-Kredit in Anspruch nehmen zu wollen.

   Ein solcher Kredit wäre vorsichtshalber für Portugal eingerichtet worden. Die Regierung hätte ihn anzapfen können, falls Anleger erneut das Vertrauen in die Fähigkeit des Landes verlieren sollten, seine Schulden zurückzuzahlen. Allerdings wäre die Kreditlinie mit weiteren Sparauflagen verbunden gewesen und Passos Coelho hatte gesagt, es sei unklar, wie diese neuen Bedingungen konkret aussähen.

   Am Sonntagabend billigte das portugiesische Parlament den sauberen Ausstieg des Landes aus dem Rettungsprogramm. "Nach vielen Gedanken zum Für und Wider sind wir letztlich übereingekommen, dass dies die richtige Wahl zum richtigen Zeitpunkt ist", sagte Passos Coelho in seiner Ansprache.

   Im April 2011 hatte Portugal internationale Rettungshilfen beantragt, weil Anleger damals wegen der überbordenden Schulden des Landes die Flucht ergriffen. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends war Portugals Wirtschaft nur um durchschnittlich 1 Prozent pro Jahr gewachsen; portugiesische Unternehmen waren mit ihrem Geschäft zunehmend gegenüber kostengünstigeren Auslandsproduzenten ins Hintertreffen geraten. Billige Kredite sorgten dafür, dass die Regierung weit mehr Geld ausgeben konnte, als sie einnahm.

   Unter Anleitung der Gläubigertroika gelang es Portugal, sein Haushaltsdefizit auf 4,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu halbieren. Das Land privatisierte Staatskonzerne und kürzte die öffentlichen Feiertage von 14 auf 10 herunter. Regeln am Arbeitsmarkt wurden gelockert, was es Unternehmen möglich machte, flexiblere Arbeitsverträge zu schließen, weniger Geld für Überstunden zu zahlen und Angestellte kostengünstiger zu entlassen.

   Die Reformen lösten nach Ansicht von Volkswirten einen Exportboom aus. Portugal erzielte erstmals seit 20 Jahren wieder einen Überschuss in der Leistungsbilanz, dem Saldo seiner Güter-, Dienstleistungs- und Einkommensströme. Laut Christian Schulz, Volkswirt bei der Berenberg Bank in London, schaffte Portugal diesen Überschuss nicht nur, weil es weniger zu importieren brauchte, sondern auch, weil die Arbeitsmarktreformen seine Exporte verbilligten.

   "Die Exporte, der Hauptindikator für die Wettbewerbsfähigkeit, liegen nun 15 Prozent bis 16 Prozent über dem Niveau vor der Krise", sagt Schulz. "Portugals Erholdung ist solide."

   Andere Analysten sagen, dass die globalen Finanzmärkte und das Versprechen von EZB-Präsident Mario Draghi, den Euro um jeden Preis zu verteidigen, mindestens ein ebenso wichtiger Grund für Portugals Comeback seien.

   Die Finanzierungskosten des Landes, die im Januar 2012 einen jährlichen Spitzenwert von 17 Prozent erreichten, fielen Ende 2012 - lange bevor die Wirtschaft des Landes auf Erholung umschwenkte - erstmals wieder drastisch. Anleger fingen damals an, wieder portugiesische Staatsanleihen zu kaufen, weil deren relativ hohe Erträge im Grunde von Draghis Währungsversprechen gestützt wurden. Es war vor allem dieses Kalkül, das Anleger leitete, sagen Analysten - nicht der Glaube an die wohl bald wiederkehrende Wirtschaftsstärke Portugals.

   "Es ist unbestreitbar, dass Portugal seit Beginn der Krise wieder einen Teil seiner Wettbewerbskraft zurückerlangt hat", sagt Nicholas Spiro, Geschäftsführer der Risikoberatung Spiro Sovereign Strategy in London. "Aber die dramatische Verbesserung im Markt-Sentiment, das es dem Land ermöglicht hat, den Rettungsschirm zu verlassen, liegt in jeder Hinsicht an Draghis Worten."

   Im April schien Portugal seine finanzielle Unabhängigkeit zu untermauern, als die Regierung eine zehnjährige Anleihe mit einer Rendite von 3,59 Prozent am Markt unterbrachte. Für das Land sind es die niedrigsten Finanzierungskosten seit dem Jahr 2006. Die Regierung besitzt nun ein Finanzpolster, mit dem es seine Staatsgeschäfte über ein Jahr lang bezahlen kann.

   Passos Coelho, der im ersten Monat nach Beginn des Rettungsprogramms das Amt des Ministerpräsidenten antrat, musste viel aushalten, um das Anlegervertrauen mit seinen regelmäßigen Beteuerungen zu schüren, Portugal werde sämtliche Auflagen der Troika einhalten. Ein Chor von Skeptikern im In- und Ausland schimpfte die Rettungsanstrengungen aber als völlig fehlgeleitet.

   Zwei Jahre lang sah es so aus, als würden die Bemühungen tatsächlich fehlschlagen. Die portugiesische Wirtschaft geriet mit den Steuersenkungen und Ausgabenkürzungen der Regierung in einen Abwärtssog. Unternehmen gingen pleite, die Arbeitslosigkeit schnellte hoch. Auf den Straßen kam es laufend zu Massendemonstrationen, und Gerichte blockierten einige Sparmaßnahmen als unzulässig. Portugals Staatsanleihen sanken auf Ramschniveau. "Es war, als würde man ein Flugzeug mit vier beschädigten Triebwerken fliegen", erinnert sich ein Regierungsbeamter. "Während wir uns noch darauf konzentrierten, ein Triebwerk zu reparieren, fielen die anderen drei aus."

   Aber Passos Coelho hielt den Turbulenzen selbst dann stand, als seine Regierung wegen der unbeliebten Sparmaßnahmen im vergangenen Sommer kurz vor dem Kollaps stand.

   Kritiker sagen, der Premier habe sich an viel zu ehrgeizige Ziele zur Kürzung des Staatsdefizits gehalten, was der portugiesischen Wirtschaft, die stark von tausenden Kleinbetrieben abhängt, einen viel zu abrupten Schlag verpasst hätte.

   "In der Folge fiel die Rezession tiefer aus, und das führte zu höherer Arbeitslosigkeit, weitreichender Verarmung, einer Zerstörung der Mittelschicht und der Schwächung des Wohlfahrtsstaates", sagt Manuela Ferreira Leite, die zur Sozialdemokratischen Partei von Passos Coelho gehört und vor zehn Jahren Finanzministerin des Landes war.

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   May 05, 2014 00:02 ET (04:02 GMT)

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-2 of 2- 05 May 2014 04:02:00 UTC  DJ Portugal beschließt sauberes Aus für den -2-

   Jetzt wächst Portugals Wirtschaft wieder. Aber mit einem BIP-Wachstum von 1,2 Prozent, das die Regierung für dieses Jahr voraussagt, wird das Land weniger als ein Drittel der Wirtschaftsleistung zurückgewinnen, die es seit Beginn des Rettungsprogramms verloren hat. Die Arbeitslosenrate ist von einem Hoch bei 17,7 Prozent auf 15,3 Prozent gesunken. Aber unter den Unter-25-Jährigen liegt sie noch immer bei 35 Prozent. Einige Staatsdiener mussten Gehaltskürzungen um 10 Prozent hinnehmen. Wegen der Haushaltseinschnitte wurden staatliche Schulen geschlossen, und Bürger müssen jetzt mehr für Gesundheitsleistungen zahlen.

   Seit Beginn des Rettungsprogramms hat sich Portugals Schuldenstand von 93 Prozent des BIP auf 129 Prozent des BIP erhöht, weil die Regierung krampfhaft versucht, angeschlagene Staatskonzerne am Leben zu halten, und weil sie Energieversorgern weiterhin hohe Subventionen zahlt. Der IWF warnt entsprechend, dass der langfristige Ausblick für das Land davon abhänge, ob Portugal auch in den nächsten Jahren ehrgeizige Defizit- und Wachstumsziele einhalten zu vermag.

   "Die Troika mag abreisen, aber wir hängen hier fest auf Jahrzehnten mit noch mehr Sparzwang", sagte Carlos Pereira, ein 57 Jahre alter ehemaliger Druckmaschinenarbeiter, der jetzt arbeitslos ist. Und mit dem Satz, den Pereira während der Mai-Kundgebungen zum Tag der Arbeit sprach, fasst er die Schicksalsergebenheit, mit der das portugiesische Volk die Krise aussitzt, gut zusammen.

   DJG/WSJ/jhe

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Von PATRICIA KOWSMANN

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