12.03.2015 11:11:30
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Ökonomen sehen Deutschland "auf der Sonnenseite der Konjunktur"
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)-- Führende deutsche Wirtschaftsforscher haben ein positives Bild der künftigen Konjunktur in Deutschland gezeichnet und ihre Prognosen für 2015 und 2016 erhöht. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) sagt für dieses Jahr ein Wachstum des deutschen Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 1,8 Prozent voraus und für kommendes Jahr von 2,0 Prozent. Bisher hatten die Kieler Ökonomen einen Zuwachs der Wirtschaftsleistung um 1,7 Prozent im Jahr 2015 und um 1,9 Prozent 2016 erwartet.
Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) schraubte seine Prognose für dieses Jahr auf 2,0 Prozent hoch. Im Januar hatten die Hallenser Ökonomen noch eine BIP-Steigerung um 1,3 Prozent erwartet.
"Deutschland lebt derzeit auf der Sonnenseite der Konjunktur", erklärte IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths. Angekurbelt werde die Konjunktur in der ersten Hälfte des Prognosezeitraums maßgeblich durch Konsumausgaben und Wohnungsbauinvestitionen der privaten Haushalte.
"Der Aufschwung in Deutschland festigt sich", erklärten die Kieler Ökonomen. Die Kapazitätsauslastung in der Industrie habe die Normalauslastung bereits leicht überschritten, und die Tendenz der Auftragseingänge sei weiter aufwärtsgerichtet. Die steigende Kaufkraft infolge deutlich niedrigerer Rohölnotierungen, höherer staatlicher Transferleistungen sowie der robusten Arbeitsmarktlage stimuliert derzeit vor allem den privaten Verbrauch kräftig.
Niedrige Inflationsraten erhöhen reales Einkommen
"Das außenwirtschaftliche Umfeld ist weniger von geopolitischen Risiken belastet, als es noch vor einem halben Jahr der Fall war", hob das IfW hervor. Auch im Euroraum seien mit Ausnahme Griechenlands deutliche Erholungstendenzen im Gange. "Insgesamt zeichnet sich ab, dass die ökonomische Aktivität in Deutschland allmählich in die Hochkonjunktur expandiert."
In den niedrigen Inflationsraten sahen die Kieler Ökonomen keinen Hemmschuh, sondern einen Treiber der privaten Konsumausgaben. Sie erhöhten das real verfügbare Einkommen und trügen neben einer robusten Arbeitsmarktlage und deutlich höheren Sozialleistungen dazu bei, dass die privaten Konsumausgaben mit einer Rate von 2,7 Prozent in diesem Jahr so kräftig steigen dürften wie seit 1992 nicht mehr. Für 2016 wird eine Steigerung um 2,2 Prozent erwartet. Im nächsten Jahr sollen nach der Prognose des IfW die Unternehmensinvestitionen "zur zweiten Säule des Aufschwungs" erstarken.
Das deutsche BIP hatte bereits im letzten Quartal 2014 mit 0,7 Prozent überraschend stark zugenommen. Im gesamten Jahr 2014 stieg das BIP um 1,6 Prozent und damit ebenfalls kräftiger als erwartet. Die Bundesregierung rechnet für dieses Jahr offiziell mit einer Steigerung der deutschen Wirtschaftsleistung um 1,5 Prozent.
Diese Prognose stammt allerdings vom Januar, als die positive Entwicklung des abgelaufenen Jahres noch nicht vollständig bekannt war. Das für die Prognose zuständige Bundeswirtschaftsministerium sagte am Donnerstag eine Fortsetzung des Aufschwungs im Frühjahr voraus.
Öffentliche Haushalte mit Überschüssen
Das IfW sagte einen weiteren Anstieg der Erwerbstätigkeit voraus. Die Arbeitslosigkeit sei derzeit so niedrig wie noch nie im vereinten Deutschland und wie sonst nirgends in der Europäischen Union. "Die Arbeitslosigkeit dürfte im Prognosezeitraum spürbar sinken", erklärte Kooths, der eine Arbeitslosenquote von 6,4 Prozent in diesem und 6,1 Prozent im kommenden Jahr vorhersagte.
Die öffentlichen Haushalte werden nach der Kieler Einschätzung in beiden Jahren des Prognosezeitraums mit Überschüssen abschließen. Trotz des kräftigen konjunkturellen Aufwindes würden diese aber nicht größer, sondern dürften in beiden Jahren bei 0,3 Prozent der Wirtschaftsleistung verharren, was "insbesondere vor dem Hintergrund extrem niedriger Zinsen kein Ausweis ehrgeiziger Finanzpolitik" sei. Die Schuldenquote durfte nächstes Jahr mit 67 Prozent in die Nähe des Maastricht-Kriteriums von 60 Prozent des BIP rücken.
Das IfW warnte angesichts seiner Prognose aber auch vor einer mittelfristigen Überhitzung der Produktionskapazitäten in Deutschland. Im nächsten Jahr gerate die deutsche Wirtschaft mehr und mehr an die Schwelle zur merklichen Überdehnung ihrer Kapazitäten. "Eine solche Überdehnung, die mittelfristig in die Überhitzung führen kann, stellt eine stabilisierungspolitische Zielverfehlung dar, der man idealerweise nicht erst begegnen sollte, wenn sie bereits eingetreten ist", mahnte Kooths. Das mit einem Boom einhergehende Risiko sei für Deutschland derzeit besonders ausgeprägt, da das anhaltende Niedrigzinsumfeld die Fehlverwendung von Kapital besonders wahrscheinlich mache.
Für den Euroraum sagten die Kieler Forscher einen BIP-Anstieg um 1,3 Prozent im Jahr 2015 und 1,7 Prozent im Jahr 2016 voraus. Die Inflationsrate werde 2015 nach 0,4 Prozent im vergangenen Jahr wohl nur stagnieren und 2016 dann mit 1,1 Prozent etwas kräftiger zulegen. "Die Konjunktur im Euroraum hat sich weiter gefestigt", konstatierte das IfW. "Das Tempo des Aufschwungs wird allerdings vorerst moderat bleiben."
IWH warnt vor Risiken aus Ölpreisverfall und Griechenland-Krise
Das IWH betonte, die gesamtwirtschaftliche Produktion sei in Deutschland im Jahr 2014 wieder spürbar ausgeweitet worden, und im Winterhalbjahr 2014/2015 dürfte der Produktionsanstieg besonders kräftig ausfallen. "Auch wenn das Expansionstempo im weiteren Jahresverlauf wieder etwas abflacht, sprechen günstige Rahmenbedingungen wie gesunkene Energiekosten und sehr niedrige Finanzierungskosten für eine gute Konjunktur in den Jahren 2015 und 2016."
Nach einer Unterauslastung im Jahr 2014 werde sich die Produktionslücke Ende 2015 wohl schließen. Im Jahr 2016 dürften die Produktionskapazitäten dann etwas stärker als normal ausgelastet sein. Die Zahl der Arbeitslosen dürfte auch nach der Hallenser Erwartung zunächst noch sinken, auf 2,8 Millionen Personen im Jahr 2015, und im Jahr 2016 auf diesem Niveau verharren. Angesichts der stark gesunkenen Energiekosten würden die Verbraucherpreise im Jahr 2015 wohl nur geringfügig steigen und danach mit 1,2% wieder etwas stärker zunehmen. Die öffentlichen Haushalte würden wie schon 2014 in beiden Jahren einen Überschuss ausweisen, erklärte auch das IWH.
Die Finanzpolitik sei im Jahr 2015, insbesondere aufgrund höherer konsumtiver Staatsausgaben - etwa im Rahmen des Rentenpakets - expansiv ausgerichtet. Der finanzpolitische Impuls beläuft sich nach den Berechnungen des IWH auf 0,4 Proeznt des BIP. Im kommenden Jahr schwenke die Finanzpolitik "auf einen nahezu konjunkturneutralen Kurs" ein.
Der jähe Ölpreisfall und die erheblichen Verschiebungen wichtiger Währungsrelationen bergen nach der Einschätzung der Hallenser Volkswirte neben Chancen auch Risiken für die internationale und die deutsche Konjunktur. "Auch die unsichere politische Lage in Griechenland ist ein Risikofaktor für die Konjunktur im Euroraum und in Deutschland", warnten sie. Selbst wenn es zu einer Einigung zwischen Griechenland und der Eurogruppe über die Auszahlung der letzten Tranche des zweiten Hilfspakets im Laufe des ersten Halbjahres 2015 komme, werde Athen seinen Zahlungsverpflichtungen ohne neue Hilfen nicht nachkommen können.
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com
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March 12, 2015 06:01 ET (10:01 GMT)
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