18.04.2013 13:15:00

Türkische Wirtschaft wendet sich von Europa ab

Die türkische Wirtschaft hat auf die abgekühlten Beziehungen des Landes zur EU reagiert und wendet sich von Europa ab. Exporte nach und Importe aus Europa gehen zurück, statt dessen wenden sich die Unternehmer innerasiatischen und islamischen Ländern zu, sagte der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Ankara, Konstantin Bekos, am Donnerstag in Wien vor Journalisten. Daran ändere auch nichts, dass derzeit wieder versucht werde, die Beitrittsverhandlungen zu beleben.

Eine Zeit lang habe der türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan sogar "laut darüber nachgedacht", der Shanghai-Gruppe beizutreten. Diesem von Russland und China dominierten Bündnis gehören auch die vier ehemaligen Sowjetrepubliken Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan an. Indien, der Iran, die Mongolei und Pakistan haben Beobachterstatus.

Dabei nutze der Türkei die Übernahme von EU-konformen Gesetzen und damit die Annäherung an EU-Standards im Zuge des Beitrittsprozesses sehr, ihr klar definiertes Ziel zu erreichen: Bis 2023, 100 Jahre nach der Gründung der Republik, eine der zehn größten Volkswirtschaften der Welt zu werden. Volkswirtschaftlich ist die Regierung inzwischen gut aufgestellt. Während 2001 noch praktisch der gesamte Bankensektor pleite war und das Land unter einer Hyperinflation ächzte, kann man nun eine Schuldenquote von 39 Prozent mit rückläufiger Tendenz vorweisen. Die Inflation liegt bei 7,8 Prozent, die Arbeitslosigkeit bei 9 Prozent, allerdings im ländlichen Gebiet strukturell verfestigt.

Größtes Problem der Türkei ist das überbordende Außenhandelsdefizit. Die türkische Wirtschaft sei zwar gut in der Produktion und dem Nachmachen ausländischer Produkte, aber zu wenig innovativ. So ernähre die türkische Landwirtschaft gerade einmal 80 Mio. Menschen - mit österreichischer Produktivität könnten davon 275 Mio. Menschen leben, sagte Bekos.

Die österreichischen Firmen waren hier 2009 bis 2011 größter Investor, 2012 hinter Großbritannien Nummer zwei. 8 Mrd. Euro sind inzwischen angelegt worden. Heuer könnte die Spitzenposition allerdings verloren gehen, da keine große Investition ansteht und eher KMU ins Land kommen. Auch die österreichischen Exporte in die Türkei stiegen stark auf zuletzt 1,3 Mrd. Euro, die Importe machen 1,1 Mrd. Euro aus. Aber man könnte das noch verdoppeln, ist Bekos sicher.

Die türkische Wirtschaft könnte noch einen zusätzlichen Aufschwung erfahren, wenn der Friedensschluss mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK gelinge. Das würde nicht nur die Verunsicherung im Südosten des Landes beseitigen. Es gebe auch "sehr viel politische Fantasie" in der Region, wenn die Zusammenarbeit mit den kurdischen Gebieten im Nordirak und in Syrien intensiviert werden kann. Da gebe es Überlegungen bis hin zu einer Art "Bundesstaat". Sowohl im Nordirak als auch im der Türkei nahestehenden Aserbaidschan gibt es Öl - das von der Türkei dringend benötigt wird. Denn Energiemangel behindert das Wachstum. Die Stromkapazität von derzeit 50.000 MW müsste verdoppelt werden - die Türkei plant daher auch zwei Atomkraftwerke, im Süden und im Norden des Landes.

Auch im Zusammenhang mit der türkischen Pipeline TANAP und der von der OMV vorangetriebenen Nabucco "finden gerade jetzt höchst interessante Gespräche statt", so Bekos. Denn die Umsetzung von TANAP würde "enorm lange brauchen", weil es noch in einem frühen Projektstadium ist. Der ursprünglich geplante Türkei-Teil von Nabucco könnte hingegen rascher umgesetzt werden und hätte auch mehr Kapazität. Nabucco hätte ursprünglich von der georgisch-türkischen Grenze bis Österreich führen sollen, wurde dann aber auf eine "Nabucco-West" ab der türkisch-bulgarischen Grenze zusammengestutzt.

(Schluss) tsk/ivn

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