03.04.2013 19:25:31

Essener Wirtschaftsforscher berechnen enorme Krisenkosten für Deutschland

   Von Andreas Kißler

   BERLIN--Die Finanzkrise und ihre Folgen haben den deutschen Staatshaushalt nach einer Studie in den vorangegangenen Jahren erheblich belastet. Wirtschaftsforscher des Essener RWI beziffern die Kosten der Krise für 2009 und 2010 mit zusammen 187 Milliarden Euro.

   Diese Summe ist dem Bundeshaushalt danach als direkte Folge der Krise entgangen. Auch eine weitere Zahl lässt aufhorchen: Beim Bankenrettungsfonds SoFFin hat sich seit Oktober 2008 ein Verlust von gut 23 Milliarden Euro angehäuft, geht aus Angaben der Finanzmarktstabilisierungsanstalt FMSA hervor.

   Die Zahlen bilden allerdings nur einen Ausschnitt der Krisenwirklichkeit ab, der für sich genommen wenig aussagekräftig ist. Denn in ihnen sind positive Gegeneffekte und eventuelle spätere Rückflüsse von Finanzhilfen nicht berücksichtigt. Außerdem kann keiner sagen, welche höheren Kosten angefallen wären, hätte die Regierung nicht auf die Krise reagiert.

   Etliche Wirtschaftsforscher lehnen deswegen eine Berechnung der Krisenfolgekosten ebenso ab wie das Bundesfinanzministerium. Von der Studie der RWI-Ökonomen wird deshalb wohl vor allem eine allgemeine Mahnung an die Regierung in Erinnerung bleiben, auch im heranziehenden Wahlkampf von Steuergeschenken abzusehen.

   "Die Finanz- und Wirtschaftskrise durchkreuzte die finanzwirtschaftlichen Planungen merklich", schreiben die Essener Ökonomen Roland Döhrn und Heinz Gebhardt in ihrer Studie, in die das Wall Street Journal Deutschland Einblick hatte.

   Ein Belastungsfaktor war, dass die Regierung in der Krise die so genannten automatischen Stabilisatoren wirken ließ. Das bedeutet, sie nahm krisenbedingt höhere Sozialkosten ebenso hin wie Steuerausfälle, ohne gegenzusteuern. Außerdem stützte sie die Konjunktur mit Sonderprogrammen wie der Abwrackprämie und rettete Pleitebanken vor der Insolvenz. Alles zusammen führte das nach den Berechnungen der beiden Forscher zu Mehrbelastungen beim Bundeshaushalt von 70 Milliarden Euro im Jahr 2009 und von 117 Milliarden im Jahr 2010.

   Von Kollegen der Essener Volkswirte setzt es deshalb Kritik: Die Zahlen sagen nichts über die am Ende tatsächlich zu bewältigenden Belastungen aus, sagt der Berliner Ökonom Christian Dreger. "Da jetzt beispielsweise sehr viele Bürgschaften dahinterstehen, ist noch nicht klar, welche Zahlungsausfälle es tatsächlich gibt", sagte Dreger, der für das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung arbeitet.

   Dreger sieht in den Krisenpolitik auch positive Effekte , die den Lasten gegengerechnet werden müssten. "Deutschland hat auch von der Krise profitiert, dadurch, dass jetzt beispielsweise die Zinsen niedriger sind, als das hätte sein müssen."

   Im Bundesfinanzministerium ist man "überzeugt sind, dass die Kosten nicht so quantifizierbar sind", wie Sprecher Gerald Stenzel erklärt. "Man kann ganz allgemein sagen, dass diese Krise in den öffentlichen Haushalten tiefe Spuren hinterlassen hat, aber wir machen es uns nicht zu Eigen, das zu quantifizieren."

   Stenzel warf die Frage auf, wie die Entwicklung am Arbeitsmarkt und bei den Steuereinnahmen verlaufen wäre, wenn die entsprechenden Beschlüsse nicht getroffen worden wären. "Kein Mensch kann sagen, wie die wirtschaftliche Entwicklung gelaufen wäre, wenn wir das nicht getan hätten", sagte Stenzel. So sei der deutsche Staat "nachweislich sehr gut" aus der Krise herausgekommen.

   Auch die Volkswirte aus Essen wollen ihre Kostenrechnung nicht als in Stein gemeißelt sehen und lassen das Ende der Studie offen: "Für ein abschließendes Urteil über die fiskalischen Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise ist es noch zu früh", räumen sie ausdrücklich ein.

   Jedoch sei gut vier Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise zumindest die Zeit reif für eine Zwischenbilanz". Dafür ermittelten die Ökonomen die Abweichung der tatsächlich eingetretenen Entwicklung von einem Referenzwert, wie er sich nach ihren Annahmen ohne die Finanz- und Wirtschaftskrise ergeben hätte. Basis hierfür bilden die im Winter 2007 und Frühjahr 2008 getroffenen Wachstumsprognosen.

   Ihr Ergebnis - Deutschland musste erhebliche Lasten schultern - nehmen Döhrn und Gebhardt zum Anlass, um die Politik zur Zurückhaltung zu mahnen, sollten Steuererleichterungen wieder ein öffentliches Thema werden. Sie fürchten, dass auch Deutschland in eine für das Wachstum kritische Schuldensituation gerät. "Für eine merkliche Aufstockung investiver Staatsausgaben oder für Steuersenkungen besteht vor diesem Hintergrund mittelfristig ohne Gegenfinanzierung kein budgetärer Spielraum."

   DJG/ank/chg

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   April 03, 2013 12:41 ET (16:41 GMT)

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