Spanien mit beachtlichem Weg |
17.12.2012 15:50:30
|
Die Euro-Krisenmedizin wirkt
Die Eurostat-Datenreihen zeigen, welchen beeindruckenden Weg zum Beispiel Spanien hinter sich gebracht hat: Anfang 2012 lagen die Lohnstückkosten hier erstmals seit der Einführung des Euro wieder niedriger als in Deutschland. Seit 2010 sind sie um 3,4 Prozent gesunken. Damit keine Missverständnisse entstehen: Natürlich verdient ein Arbeiter in Deutschland immer noch deutlich mehr als einer in Spanien. Aber in die Berechnung der Lohnstückkosten fließt auch die Produktivität ein. Und die ist in Deutschland immer noch höher als in Spanien.
Das Bild in Griechenland lässt sich nicht ganz so gut wie das in Spanien nachvollziehen, weil das Land keine saisonbereinigten Daten veröffentlicht. Aber der Vorjahresvergleich zeigt: In den vergangenen zwölf Monaten sind die griechischen Lohnstückkosten um knapp 6 Prozent gesunken. Aus Portugal und Irland liegen noch keine Daten für das dritte Quartal vor. Aber auch hier sind die Lohnstückkosten bis zuletzt gesunken. Die EU-Kommission rechnet damit, dass die Lohnstückkosten Portugals im laufenden Jahr um 4 Prozent zurückgehen werden.
Die Entwicklung dieser Kosten ist wichtig, weil eine gute preisliche Wettbewerbsfähigkeit eine Voraussetzung für eine zumindest ausgeglichene Leistungsbilanz ist. Verliert ein Land diese Wettbewerbsfähigkeit, sinken seine Exporte. Es stellt sich ein immer höheres Leistungsbilanzdefizit ein, wenn nicht auch die Importe sinken. Der Einfuhrüberschuss muss mit Krediten des Auslands bezahlt werden.
Bleiben die aus, gerät das Land in eine Zahlungsbilanzkrise, die innerhalb der Eurozone eine besondere Ausprägung erfährt: Die Europäische Zentralbank (EZB) ersetzt die ausbleibenden Kredite (zum Beispiel von deutschen Banken) mit ihren eigenen Krediten. Und die finden sich in der Bilanz der Bundesbank als Forderungen gegen die EZB wieder.
Der Münchener Ökonom Hans-Werner Sinn hat diesen Mechanismus, der sich in Salden des Zahlungssystems Target2 spiegelt, ausführlich beschrieben. Dass sich die Leistungsbilanzungleichgewichte im Euroraum schon wieder verkleinern und im Zuge der Annäherung der Lohnstückkosten weiter sinken werden, will er aber nicht anerkennen. Er fordert deshalb den Austritt Griechenlands aus dem Euro und sieht auch die Euro-Mitgliedschaft Portugals kritisch.
Sinn zufolge sind für die Beurteilung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit nicht die Löhne, sondern die gesamtwirtschaftlichen Inflationsmaße, die BIP-Deflatoren, maßgeblich. Sinns Thesen sind in der Ökonomenzunft jedoch sehr umstritten. Prominentester Kritiker des ifo-Präsidenten ist inzwischen die Deutsche Bundesbank, die seine Aussagen zur Wettbewerbsfähigkeit im Euroraum in Zweifel zieht. Es kann als gesichert gelten, dass sich die besonders schwer von der Finanzkrise getroffenen südeuropäischen Länder unter dem Druck der Verhältnisse anpassen: Sie importieren weniger, sie exportieren mehr und sie exportieren mehr in Länder außerhalb der Eurozone.
Das bedeutet: Die Euro-Krisenmedizin ist zwar bitter - schließlich geht sie mit sehr hoher Arbeitslosigkeit einher - aber sie wirkt.
Nach Berechnung der Berenberg Bank haben Italien, Spanien, Griechenland, Irland und Portugal im zweiten Quartal zusammengenommen nur noch ein Leistungsbilanzdefizit von knapp unter 2 Prozent gehabt. Für das dritte Quartal kommt die Bank sogar auf einen rechnerischen Überschuss von 0,6 Prozent, in dem allerdings die saisonbedingt hohen Toursmismuseinnahmen enthalten sind.
So weit, so gut. Allerdings beschränken sich die positiven Nachrichten auf die unter starkem Reformdruck stehenden Euro-Länder. Dagegen steigen die Lohnstückkosten der zweit- und drittgrößten Volkswirtschaften, Frankreich und Italien, weiter. Die Produktion in Frankreich war im dritten Quartal um 3,2 Prozent teurer als im Euroraum-Durchschnitt und um 6,9 Prozent teurer als in Deutschland. In Italien betrug der entsprechende Abstand 2,6 und 6,4 Prozent.
Dass Italien sowohl in der Liste der Problemstaaten als auch in der Liste jener Staaten mit sinkenden Leistungsbilanzdefiziten auftaucht, weist auf einen weiteren Aspekt des Außenhandels hin: Über den Exporterfolg entscheidet nicht alleine die preisliche Wettbewerbsfähigkeit. Auch die Qualität der Produkte spielt eine Rolle.
Die Schönheiten der Toskana oder Umbriens sind zum Beispiel ein solcher Exportschlager, weil die Inanspruchnahme touristischer Dienstleistungen durch Ausländer als Export gebucht wird. Über das gesamte Jahr gerechnet macht der Tourismus 9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.
Gleichwohl bleibt gerade bei Gütern der Preis ein wichtiges Kriterium. Frankreichs Lohnstückkosten sind seit der Euro-Einführung ununterbrochen gestiegen. Sie liegen heute um satte 27,1 Prozent über dem Stand von 1999. Das Problem: Deutschlands Lohnstückkosten haben dank Lohnzurückhaltung und Produktivitätsgewinnen nur um 6,4 Prozent zugelegt und liegen heute um 4,6 Prozent unter dem Durchschnitt des Währungsraums. Noch krasser fällt der Unterschied bei den Lohnstückkosten in der Industrie aus: Die französischen stiegen seit 1999 um 9,4 Prozent, die deutschen aber sanken um 7,0 Prozent.
In der Folge haben Frankreichs Exporte zwischen dem ersten Quartal 2010 und dem dritten Quartal 2012 nominal um nur 2,9 Prozent zugenommen, Deutschlands aber um 14,0 Prozent. Das Leistungsbilanzdefizit Frankreichs steigt seit Jahren in der Tendenz, während Deutschlands -überschuss allenfalls leicht gesunken ist. Man kann also sagen, dass die größte Volkswirtschaft des Euroraum der zweitgrößten Exportmarktanteile abgejagt hat.
Die Maßnahmen der französischen Regierung zur Behebung dieses Problems sind bisher nicht sonderlich überzeugend. Der sozialistische Präsident Francois Hollande hat punktuelle Steuersenkungen beschlossen, die allerdings die immer ungünstiger werdende Haushaltslage des Staates weiter verschlechtern dürften. Einen Eingriff in Arbeitnehmerrechte, wie die deutsche Agenda 2010 sie beinhaltete, sind von einen französischen Sozialisten nicht zu erwarten.
Auf die Bonität Frankreichs hat sich sein zunehmendes Leistungsbilanzdefizit bisher kaum ausgewirkt. Deutschland als Stabilitätsanker des Euroraum kann auch kein Interesse daran haben, Frankreich in Schwierigkeiten zu sehen. Aber andererseits lebt die deutsche Wirtschaft nicht schlecht von den Leistungsbilanzdefiziten des Nachbarn. Mit 101 Milliarden Euro war Frankreich im vergangenen Jahr wichtigstes Bestimmungsland deutscher Ausfuhren.
DJG/hab/apo
Dow Jones Newswires
Von Hans Bentzien
Wenn Sie mehr über das Thema Aktien erfahren wollen, finden Sie in unserem Ratgeber viele interessante Artikel dazu!
Jetzt informieren!
Weitere Links: