13.12.2012 11:02:34
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Europäische Fluglinien nehmen ihre Personalkosten ins Visier
Von Marietta Cauchi und Daniel Michaels
Die etabliertesten europäischen Fluggesellschaften versuchen sich derzeit angesichts der Kampfansage von Billigfliegern mit aller Kraft über Wasser zu halten. Inzwischen greifen die Restrukturierungen auf einen Kostenblock über, der bisher weitgehend außen vor geblieben ist: das Personal. Naturgemäß erweisen sich die Verhandlungen als zäh und kompliziert. Beide Seiten kämpfen mit harten Bandagen. Die Angestellten der spanischen Iberia und die Air-France-Gewerkschaft für das Kabinenpersonal kündigten bereits Streiks für Januar an. Die Arbeitnehmervertretungen von Scandinavian Airlines (SAS) sträuben sich ebenfalls gegen Kürzungen. Die Reaktion des SAS-Managements: Es wird mit der Schließung des gesamten Betriebs gedroht.
Für die Fluglinien geht es um alles oder nichts. Die renommierten Airlines mit traditionellem Rund-um-Service haben mit hohen Kerosinkosten, schrumpfenden Volkswirtschaften und der aggressiven Preissetzung durch europäische Billigflieger zu kämpfen. Dazu kommt noch: Zunehmend luchsen außereuropäischen Konkurrenten den Europäern Marktanteile ab. Der jetzige Frontalangriff auf Privilegien des Personals und Arbeitsplätze kommt erst zu einer Zeit, nachdem zahlreiche andere Maßnahmen verpufften. Fusionen und Kürzungen beim Service haben alle kaum gefruchtet.
"Die gesamte europäische Branche leidet unter einem Mangel an Wettbewerbsfähigkeit, zumindest im weltweiten Maßstab", sagt der Chef von Air France-KLM SA Jean-Cyril Spinetta. Nach markanten Verlusten im vergangenen Jahr will das Unternehmen seine Kosten bis 2014 um 10 Prozent drücken. Auch der Schuldenberg soll bis dahin massiv abgetragen sein. Das von Spinetta angewandte Mittel: Die Gehälter sollen eingefroren und ein Einstellungsstopp verhängt werden. 5.122 Arbeitsplätze sollen dem Rotstift zum Opfer fallen. Das sind rund 10 Prozent des Personals der Sparte Air France. Die vertrackte Lage akzeptiert teilweise selbst die Arbeitnehmerseite. Mehrere Gewerkschaften tragen die harten Sparmaßnahmen mit.
In den USA beschritten gebeutelte Airlines einen gänzlich anderen Weg. Sie nahmen bestehende Arbeitsverträge auseinander, indem sie vor den Konkursrichter wanderten. Delta Air Lines Inc dampfte ihre Kosten durch eine vom Gläubigerschutz getragene Restrukturierung ein. Der Konzernumbau endete im Jahr 2007. Die AMR-Tochter American Airlines verschlankt sich gerade ebenfalls durch Gläubigerschutz. In Asien durchlief Japan Airlines Co im vergangenen Jahr einen ganz ähnlichen Prozess. In den meisten europäischen Ländern bietet sich den Fluggesellschaften keine solche Möglichkeit. Erzwungene Kürzungen durch etwas ähnliches wie den US-Gläubigerschutz funktioniere in Frankreich einfach nicht, gibt Spinetta zu bedenken. "Wir müssen unseren Leuten erklären, wo unsere Schwächen liegen", ergänzte der Top-Manager.
Doch nicht alle Airlines bringen ein solches Maß an Geduld auf. Die spanische Fluggesellschaft Iberia verficht eine harte Linie. Die Konzernmutter International Consolidated Airlines Group SA (IAG) erzwingt von oben herab Kürzungen. IAG-Chef Willie Walsh trat bereits vor einem Jahr bei British Airways energisch auf die Kostenbremse, bevor die Traditionsgesellschaft mit Iberia fusionierte. Jetzt sollen 4.500 Jobs wegfallen und 25 Flieger eingemottet oder veräußert werden. Handlungsbedarf ist durchaus vorhanden: Im vergangenen Monat vermeldete IAG einen um knapp ein Viertel eingebrochenen Gewinn im dritten Quartal, der vorwiegend auf das Konto der spanischen Tochter ging.
Die Iberia-Gewerkschaften machen IAG als Sündenbock für die Misere ihrer Airline aus. "Die Fusionsvereinbarungen waren schädlich für Iberia", sagt der Chef von Iberias Pilotengewerkschaft Justo Peral. Zunächst wollten die Gewerkschaften von Iberia in der Weihnachtsreisezeit streiken, verschoben ihren Ausstand kürzlich aber bis Anfang des kommenden Jahres. Walsh will unter keinen Umständen klein beigeben. "Egal was passiert, Iberia wird restrukturiert", äußert er sich kompromisslos. Streiks und Proteste würden ihn und das Management in keinster Weise abschrecken.
IAG wandte sich im gerade abgelaufenen Monat an das Oberste Zivilgericht Großbritanniens, um gegen die Streiks der Iberia-Piloten im vergangenen Winter vorzugehen. Peral will sich zu dem Rechtsstreit nicht äußern. Derweil will British Airways jetzt 400 Stellen beim Kabinenpersonal einsparen. Hier wird ein eher sanfter Weg beschritten. Das Management setzt auf ein freiwilliges Ende der Arbeitsverträge.
Die Deutsche Lufthansa AG hat sich auf einige neue Verträge eingelassen. Obwohl deutsche Unternehmen traditionell Arbeitskämpfe scheuen, begleiteten die monatelangen Gespräche über ein engagiertes Sparprogramm bittere Auseinandersetzungen und Streiks. Die Lufthansa will innerhalb von drei Jahren 1,5 Milliarden Euro weniger ausgeben. Die nach Passagieraufkommen größte europäische Airline streicht 3.500 Stellen in der Verwaltung. Die Gehälter und Privilegien der verbleibenden Belegschaft werden energisch eingedampft.
"Das Management wollte mehr Geld einsparen, indem es uns mehr Kürzungen auferlegte - und das nach drei Jahren ohne Gehaltserhöhungen", sagt Nicolai Baublies, der Sprecher von Lufthansas Gewerkschaft für die Kabine. Da sei Streik in diesem Sommer die einzige gangbare Alternative gewesen. "Wir verstehen den Zwang zur Restrukturierung, aber die Angestellten müssen in den Prozess mit einbezogen werden", ergänzte er. Solch ein Ansatz steigere die Gewinne nur deutlich, sofern es langfristige, nachhaltige Änderungen in der Kostenbasis und den operativen Modellen gebe, wirft Luftfahrtexperte Roger de Peyrecave von der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers ein.
Bei der angeschlagenen SAS drohte dagegen ein Ende mit Schrecken. Im vergangenen Monat erklärte die Fluglinie: Ohne deutliche Zugeständnisse von Arbeitnehmerseite würde das skandinavische Traditionsunternehmen aufgelöst. 15.000 Menschen hätten plötzlich ohne Arbeitsplatz dagestanden. Dieses Vorgehen rüttelte ganz Skandinavien auf. In Nordeuropa sind Arbeitskämpfe äußerst selten. Schließlich schluckten acht Gewerkschaften die bittere Pille von Gehaltskürzungen, Arbeitszeitverlängerungen, einem Anstieg des Rentenalters und zunehmender Auslagerung von Arbeit. "Für die Gewerkschaften gab es keinerlei Alternative zu einer Einigung mit SAS", rechtfertigt sich Tommy Larsson von der schwedischen Pilotenvereinigung.
Doch solche harten Einschnitte könnten noch nicht das Ende der Fahnenstange sein. Die alteingesessenen Airlines sparen am Service und unprofitablen Kurzstreckenflügen, um Geld zu sparen. Die Newcomer von der Billigkonkurrenz gehen den umgekehrten Weg und fügen ihren Angeboten Zusatzleistungen bei, um Geschäftsreisende anzulocken. Der irische Billigflieger Ryanair Holdings PLC hat seinen Umsatz außerhalb der Ticketeinnahmen dieses Jahr um 20 Prozent gesteigert. Das Plus geht vor allem auf neue Sitzreservierungen und Prioritätsbuchungen zurück. Unternehmenschef Michael O'Leary füllt die Lücke aus, die ihm die einstigen Platzhirsche überlassen, wie er freimütig selbst einräumt.
"Es wird einen deutlichen Rückzug von den Kurzstrecken geben, da andere Airlines einen ähnlichen Prozess durchlaufen wie IAG und SAS. Airlines aus der zweiten Reihe werden zudem zunehmend zusammenbrechen", prognostiziert der schillernde Unternehmer. Ryanair erweiterte im vergangenen Winter die eigenen Flugrouten, als Spanair SA, die ungarische Malev Zrt und die dänische Cimber Sterling Group A/S sich auflösten. Die britische Budget-Fluglinie Easyjet PLC steigerte in diesem Jahr die Zahl ihrer Geschäftskunden, die traditionell mehr zahlen als Touristen, um 6 Prozent auf 10 Millionen, sagte Chefin Carolyn McCall in einer Telefonkonferenz. "Es eröffnet sich für uns ein ganzer Strauß an Möglichkeiten, da die Wirtschaft voraussichtlich weiter vor sich hin dümpelt und bei den angestammten Fluggesellschaften die hohen Preise einen Kollaps oder weitreichende Restrukturierungen auslösen."
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