24.10.2014 14:55:30

Kritik von allen Seiten an EU-Klimabeschluss

   Von Andreas Kißler

   BERLIN--Der von der EU erzielte Klimakompromiss ist in Deutschland auf heftige Kritik bei Naturschützern, Wirtschaft und Opposition gestoßen. Allerdings hatte diese Kritik unterschiedliche Gründe: Während der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die Branche der Erneuerbaren Energien Rückschritte für den Klimaschutz befürchteten, ist das Vorgehen der EU in den Augen der Chemiebranche aber immer noch zu ambitioniert.

   Doch das Wirtschaftsministerium lobte die Ergebnisse, die die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union bei ihrem Gipfeltreffen in der Nacht in Brüssel erzielten.

   Von Lob war der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger in seiner Reaktion weit entfernt. "Die EU hat das Ziel aufgegeben, den Klimawandel einzudämmen", beklagte er mit Blick auf den Beschluss, die Emissionen in Europa bis 2030 um mindestens 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu verringern. "Mit dieser Politik werden wir keinen angemessenen Beitrag zum globalen Klimaschutz leisten", warnte Weiger und forderte, Europa hätte seine Emissionen bis 2030 um mindestens 60 Prozent reduzieren müssen. Die Entscheidung der EU sei "der erste Sargnagel" für das internationale Klimaabkommen, das nächstes Jahr in Paris verabschiedet werden solle.

   "Die Ergebnisse sind enttäuschend", erklärte auch die Deutsche Umwelthilfe. "Das verbindliche CO2-Reduktionsziel um mindestens 40 Prozent bis 2030 war der kleinste gemeinsame Nenner - nicht mehr", betonte Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Gleichzeitig seien die Beschlüsse für den Ausbau der Erneuerbaren Energien "ein Desaster".

   Der Bundesverband Erneuerbare Energie betonte, das Energie- und Klimapaket bleibe hinter den Erwartungen zurück. "Anstatt die europäische Wirtschaft durch den ambitionierten Ausbau Erneuerbarer Energien anzukurbeln, hat sich der Europäische Rat auf weiche Zielvorgaben geeinigt", kritisierte Geschäftsführer Hermann Falk.

   Die Verbände der Technischen Gebäudeausrüstung (TGA) zeigten sich ernüchtert "von den ambitionslosen Schlussfolgerungen" des Gipfels zur Energieeffizienz. "Der Europäische Rat hat bei der Festsetzung der Ziele zur Energieeffizienz versagt", erklärte Geschäftsführer Günther Mertz.

   Zur Stärkung der Energieeffizienz als wesentliche Säule der europäischen Energie- und Klimapolitik wäre es nach seiner Überzeugung wichtig gewesen, sich auf ein verbindliches Energieeffizienzziel von mindestens 30 Prozent zu verständigen anstatt auf ein unverbindliches Ziel von 27 Prozent. Die nötigen Effizienztechnologien wie moderne Heizungs-, Klima-, Lüftungs- und Warmwasserbereitungssysteme stünden bereits heute zur Verfügung. "Die Erhöhung der Energieeffizienz ist daher keine Frage des Könnens, sondern des Wollens", meinte Mertz.

   Der Bundesverband der deutschen Bioethanolwirtschaft betonte, der Gipfel habe "nichts Konkretes für Klimaschutz und Erneuerbare Energien im Verkehr nach 2020" beschlossen. Der Verband bedauerte, dass der Europäische Rat die EU-Klima- und Energiepolitik bei Kraftstoffen nach 2020 offen gelassen habe. Bei Kraftstoffen seien jedoch "klare und alle Mitgliedstaaten verpflichtende Vorgaben für weniger Treibhausgase und mehr Erneuerbare Energien notwendig".

   Auch die Grünen bemängelten die Ergebnisse des Gipfels. Ihre stellvertretende Fraktionschefin im Europaparlament, Ska Keller, sprach im Nachrichtensender Phoenix von "bei Weitem nicht ausreichenden" Beschlüssen. Was der Gipfel beschlossen habe, sei ein Rückschritt in der europäischen Klimapolitik. "Ambition ist etwas ganz anders."

   Hingegen bezeichnete der Verband der Chemischen Industrie (VCI) das von den Staats- und Regierungschefs beschlossene Klimaschutzziel von 40 Prozent als "äußerst ambitioniert" und warnte vor negativen Folgen für die Wirtschaft.

   "Europa will in den zehn Jahren zwischen 2020 und 2030 seine Emissionen noch einmal so stark reduzieren wie in den dreißig Jahren zuvor", beklagte VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann. "Wir befürchten, dass die Verschärfung des Klimaziels das europäische Industrienetzwerk und damit Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit schwächt." Die Negativentwicklung bei den Investitionen werde sich dadurch verstärken.

   Der Wirtschaftsrat der CDU forderte vor diesem Hintergrund, die einzelnen Energie- und Klimaziele stärker miteinander verzahnen. "Statt einer klaren, an Markt und Wettbewerb orientierten Linie, zeigen die Ergebnisse einen Potpourri aus Umverteilung, Ausnahmeregelungen und neuen Subventionstöpfen", konstatierte der Präsident des Wirtschaftsrates, Kurt Lauk. Er sah in den Gipfelbeschlüssen "nicht das erhoffte Signal zur Stärkung des Industriestandortes Deutschland".

   Die Bundesregierung lobte den von vielen Seiten kritisierten Kompromiss dennoch. "Ein EU-Klimaziel von mindestens 40 Prozent ist ein wichtiges Signal für die Klimaverhandlungen in Paris im nächsten Jahr", erklärte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. "Auch wenn sich Deutschland mehr gewünscht hätte, begrüße ich, dass der Gordische Knoten zwischen den unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten durchgeschlagen werde konnte." Auch dürfe Deutschland beim Umstieg auf erneuerbare Energien schneller vorangehen. Europa verbinde "ambitionierten Klimaschutz, Wachstum, Innovation und eine leistungsfähige Industrie miteinander", meinte Gabriel.

   Die 28 Staats- und Regierungschefs der EU hatten bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel nach mehrmonatigen Verhandlungen einen neuen Klima- und Energierahmen bis 2030 beschlossen. Laut der Vereinbarung soll der Ausstoß von Treibhausgasen EU-intern bis dahin um mindestens 40 Prozent unter dem Stand von 1990 liegen. Außerdem einigten sich die EU-Spitzenpolitiker darauf, den Anteil der erneuerbaren Energiequellen wie Sonne, Wind und Wasserkraft bis 2030 auf mindestens 27 Prozent zu steigern. Außerdem will die EU den Stromverbrauch um mindestens 27 Prozent senken; dieses Ziel ist aber nicht verbindlich.

   (mit Material von AFP)

   Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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