06.05.2014 16:53:33

Koalition will Investitionen statt Abbau der kalten Progression

   Von Andreas Kißler

   BERLIN--Angesichts der begonnenen Steuerschätzung haben Spitzenvertreter der Berliner Regierungskoalition davor gewarnt, schnelle Entlastungen von der kalten Progression zu erwarten. Der Unions-Chefhaushälter Norbert Barthle (CDU) bestätigte zwar, in den kommenden vier Jahren sei mit Steuermehreinnahmen von 40 Milliarden Euro zu rechnen. Doch komme davon nur ein kleiner Teil dem Bund zugute - und Priorität hätten ohnehin erst einmal Investitionen in die marode deutsche Verkehrsinfrastruktur. Auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber dämpfte Hoffnungen auf einen Abbau der kalten Progression.

   "Der größere Teil von diesen 40 Milliarden, 10 Milliarden pro Jahr, wird bei den Ländern und bei den Gemeinden landen, nicht beim Bund", sagte Barthle vor einer Fraktionssitzung von CDU und CSU im Bundestag. "Deshalb eröffnen sich zunächst einmal keine größeren Spielräume für neue Ausgaben."

   Bis zum Donnerstag werden die Steuerschätzer bei ihrer Sitzung im Roten Rathaus in Berlin intensiv rechnen, um die zu erwartenden Einnahmen für die kommenden Jahre zu kalkulieren. Das Ergebnis gibt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Donnerstagnachmittag bekannt. Schon jetzt steht aber fest: Die Einnahmen werden höher sein als bisher angenommen. Auch das Finanzministerium hat aber bereits vor der Sitzung die Erwartungen demonstrativ niedrig gehängt.

   Barthle untermauerte seine Warnung am Dienstag mit einer konkreten Prognose für die Mehreinnahmen des Bundes. "Für den Bund rechne ich mit Steuermehreinnahmen in diesem Jahr von rund 400 Millionen", sagte der CDU-Politiker. "Und in den Folgejahren von knapp einer Milliarde."

   Schon im Vorfeld der Tagung der Steuerexperten aus Bund und Ländern waren Forderungen laut geworden, die ungewollten Mehreinnahmen abzubauen, die mit der so genannten kalten Progression entstehen. Der Begriff beschreibt den Umstand, dass Lohnerhöhungen zu einer Einstufung in eine höhere Steuergruppe und letzten Endes dann sogar zu einer geringeren Kaufkraft führen können.

   Noch 2016 sollten deshalb die Einkommensteuersätze um zwei Prozentpunkte sinken, schrieb der Spiegel, dem zufolge Schäuble für Bund, Länder und Gemeinden zusammen mit 2,7 Milliarden Euro an Steuermehreinnahmen in diesem und sieben Milliarden im kommenden Jahr rechnet.

   Doch Barthle ließ dies ebenso offen wie SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, der sich ebenfalls vor der Sitzung seiner Fraktion äußerte. "Das Problem ist, dass man jetzt noch nicht sagen kann, was 2016 sein wird", betonte Barthle. "Für das Jahr 2014 gilt: Rückführung der Neuverschuldung, mehr Investitionen. Für das Jahr 2015 gilt: Priorität hat die schwarze Null", stellte er klar.

   "Wenn wir in diesem Jahr neue Spielräume entdecken im Haushalt, dann wollen wir mehr für die Verkehrsinfrastruktur ausgeben." Vor allem für den Erhalt von Straßen seien mehr Mittel notwendig. "Das hat Priorität Nummer eins." Das Thema hatte erst jüngst für Furore in der Koalition gesorgt, als Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) eine Abgabe für die Sanierung maroder Straßen ins Spiel brachte.

   Auch Tauber betonte die Priorität eines ausgeglichenen Budgets und rückte den Abbau der kalten Progression in die Ferne. "An erster Stelle steht der ausgeglichene Haushalt ohne neue Schulden", sagte er der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. An zweiter Stelle stehe für die CDU das Versprechen, dass es keine Steuererhöhungen geben werde. "Und erst dann kann man, wenn es erhebliche Mehreinnahmen gibt, irgendwann auch wieder über das Thema kalte Progression reden", fügte der CDU-Generalsekretär hinzu. Vorher sei "alles andere Kaffeesatzleserei".

   Oppermann warnte, konjunkturelle Mehreinnahmen könnten nicht zur dauerhaften Finanzierung von Steuersatzänderungen dienen. Das hatten zuvor auch schon Ökonomen betont. "Wenn der Steuertarif verändert wird, sind das strukturelle Veränderungen. Nur mit konjunkturellen Mehreinnahmen können Sie nicht dauerhaft strukturelle Steuermindereinnahmen gegenfinanzieren", sagte Oppermann.

   Ebenso wie zuvor SPD-Parteichef Sigmar Gabriel machte Oppermann einen Abbau der kalten Progression aber nicht mehr von einer Gegenfinanzierung durch Steuererhöhungen für Spitzenverdiener abhängig. "Wir wollen eine solide Finanzierung, wenn die kalte Progression im Steuertarif abgemildert wird", betonte er. "Dazu muss man nicht zwingend die Steuern erhöhen, dazu gibt es auch andere Möglichkeiten." Schäuble solle dafür eine Lösung vorschlagen.

   Ein Sprecher des Finanzministers hatte aber schon am Montag betont, einen Abbau der kalten Progression solle es nur geben, wenn die Vorhaben des Koalitionsvertrages durchfinanziert seien. Vor allem aber müsse der für 2015 geplante Ausgleich des Bundeshaushaltes ohne Steuererhöhungen gesichert sein, hatte er gesagt.

   Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

   (mit AFP)

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   May 06, 2014 10:46 ET (14:46 GMT)- - 10 46 AM EDT 05-06-14

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