Die Insel im Fokus |
22.06.2016 22:12:45
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Jüngste Umfragen sehen wieder Brexit-Befürworter knapp vorn
Großbritannien werde am Donnerstag seinen "Independence Day" feiern, seinen Unabhängigkeitstag: Mit diesem Versprechen riss Londons ehemaliger Bürgermeister Johnson in der größten Live-Debatte vor dem Referendum tausende Landsleute von den Sitzen des Wembley-Stadions. Er warf seinem Nachfolger im Londoner Rathaus, Sadiq Khan, vor, die drohenden Wirtschaftsfolgen eines EU-Austritts zu dramatisieren. Und er warnte, der Verbleib in der EU werde zu noch mehr Einwanderung führen.
"Ihr verbreitet Lügen und Ihr jagt den Leuten Angst ein", konterte Khan als Vertreter des Pro-EU-Lagers daraufhin. "Das ist Panikmache, Boris, und Du solltest Dich dafür schämen." Die EU-Befürworter setzten am letzten Wahlkampftag auf die Angst vor dem wirtschaftlichen Niedergang im Fall eines Brexit. "Niemand weiß, was passieren wird", sagte Premierminister David Cameron.
Nach der Ermordung der Labour-Abgeordneten und EU-Befürworterin Jo Cox am vergangenen Donnerstag waren die EU-Befürworter mit hauchdünnem Vorsprung in Führung gegangen. Das änderte sich mit den Umfragen vom Mittwochabend. Das Opinium-Institut sah die Brexit-Befürworter bei 45 und das "Remain"-Lager bei 44 Prozent. Eine TNS-Umfrage ermittelte 43 Prozent für "Leave" und 41 Prozent für "Remain".
Cameron, der das Referendum eigentlich nur zur Befriedung der Rebellion in seiner konservativen Tory-Partei angesetzt hatte, gab sich versöhnlich. "Wenn ich die gesamte Kampagne in einem Wort zusammenfassen sollte, wäre es das Wort 'gemeinsam'", sagte er der BBC. "Wenn wir eine größere Wirtschaft und mehr Jobs haben wollen, geht es besser gemeinsam."
Cameron nahm auch internationale Herausforderungen in den Blick: "Wir können besser gemeinsam gegen Terrorismus und Klimawandel kämpfen und bessere Handelsabkommen mit China und Amerika abschließen." Rückendeckung erhielt er nicht nur durch einen offenen Brief von 1300 führenden britischen Wirtschaftsvertretern, auch James-Bond-Darsteller Daniel Craig und die irische Rockband U2 warben für die EU.
Die Brexit-Verfechter gaben sich zuversichtlich. "Wir stehen kurz vor einem außergewöhnlichen Ereignis in der Geschichte unseres Landes und ganz Europas", sagte Johnson.
Aus Brüssel warnte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker: "Out is out" - beim No sei keine Rückkehr möglich. Der französische Präsident François Hollande sprach von einer "sehr ernsten Gefahr", dass das Königreich seinen Zugang zum EU-Binnenmarkt verliere. Unabhängig vom Ausgang des Referendums werde er sich kommende Woche mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin treffen.
Merkel wiederholte am Mittwoch, sie "wünsche", dass sich die Briten "für einen Verbleib in der Europäischen Union entscheiden". Hinter dem Wunsch steckt auch die Sorge, dass ein Brexit-Triumph Nationalisten und EU-Gegnern auf dem ganzen Kontinent Auftrieb geben könnte.
Die Brexit-Befürworter hatten die Angst im Land vor weiterer Massenzuwanderung geschürt und den EU-Austritt als einziges wirksames Gegenmittel beschworen. Ausgerechnet am Mittwoch kam dann aus Brüssel die Meldung, dass die EU ihre Beitrittsgespräche mit der Türkei am 30. Juni ausweiten werde.
Eine türkische EU-Mitgliedschaft wäre nach Darstellung des Brexit-Lagers gleichbedeutend mit einer neuen Welle an Einwanderern. "Wir müssen die Gelegenheit ergreifen, die EU jetzt zu verlassen", schrieb ihr rechtspopulistischer Wortführer Nigel Farage umgehend auf Twitter. Die Wahllokale schließen um 23.00 Uhr MESZ. Mit aussagekräftigen Ergebnissen ist nicht vor Freitagmorgen zu rechnen.
LONDON (AFP)
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