25.04.2014 11:38:30
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Italiens Schulden stürzen EU in einen Konflikt
Von Matthew Dalton
BRÜSSEL--Italien hat gerade das dritte Rezessionsjahr innerhalb von fünf Jahren hinter sich. Die Arbeitslosigkeit steigt immer noch. Doch die wohl größte Herausforderung steht der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone wohl noch bevor: Brüssel verlangt von Rom, seinen riesigen Schuldenberg abzubauen.
Ob Italien sein Problem mit den Staatsschulden lösen kann, diese Frage wird ein wichtiger Test für das komplizierte neue System des Fiskalpaktes, mit dem die EU die Finanzen ihrer Mitgliedsstaaten unter Kontrolle halten will.
Die neuen Regeln bieten Zündstoff: Sie spielen Länder wie Deutschland und die Niederlande, die einen härteren Kurs fahren, gegen jene Länder Südeuropas aus, die sich mehr Spielraum in Haushaltsfragen wünschen.
Dazwischen steht die Europäische Kommission, die mehr Macht bekommen hat, um die Regeln durchzusetzen. Nun muss sie eine schwierige Entscheidung treffen: Wird sie darauf bestehen, dass Italien sich an die Regeln hält, auch wenn das Land dadurch in die Rezession zurückfallen könnte? Oder gibt sie Rom etwas mehr Freiheit und riskiert, das neue System zu untergraben - für das Brüssel im Übrigen hart gekämpft hat, damit sich eine Schuldenkrise nicht wiederholt?
In den vergangenen Jahren hat die Kommission einer Reihe von Ländern mehr Zeit eingeräumt, um die EU-Defizitregeln einzuhalten. Damit hat sie Kritik aus Deutschland und anderen nordeuropäischen Ländern auf sich gezogen.
Nun mag sich die Kommission zwar schwertun, Italien mehr Flexibilität einzuräumen. In einer Zeit, in der antieuropäische Parteien in vielen Ländern Schub bekommen, dürfte es aber nicht in ihrem Interesse liegen, dem neuen Ministerpräsidenten Matteo Renzi in den Rücken zu fallen.
"Renzi muss einen Sieg vorzeigen können", sagt Mujtaba Rahman, Analyst bei der Eurasia Group. "Und die Kommission in Brüssel hat einen Anreiz, das für ihn zu tun."
Zur Debatte steht eine Regel, die ein Ziel für die Schulden eines Staates setzt. Vorher hat die Kommission sich nur das jährliche Defizit angeschaut, wenn es darum ging, ob ein Land Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen durchsetzen musste.
Nun müssen die Länder, deren Schulden über der Grenze von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen, jenen Teil der Schulden, die über der 60-Prozent-Marke liegen, jährlich um fünf Prozent abbauen. Tun sie das nicht, drohen ihnen eine schärfere Kontrollen und sogar Strafen.
Italiens Schuldenquote liegt derzeit bei 130 Prozent, es wird also noch viele Jahre dauern, bis die 60 Prozent erreicht sind. Die neue Regel soll die Regierung ab 2016 anwenden. In gewöhnlichen Zeiten sei das kein Problem, sagen Beobachter: Solange das Defizit unter der nominalen Wachstumsrate der Wirtschaft liegt - also Wachstum plus Inflation - werden die Schulden geringer.
Doch dies sind keine gewöhnlichen Zeiten. Die Inflation in der Eurozone ist niedrig, in Italien liegt die Rate fast bei null. Und während die Arbeitslosigkeit anderswo langsam sinkt, dürfte sie in Italien weiter steigen. Wenn Renzis Regierung Schulden abbauen will, wenn es kaum Inflation gibt, müsste sie wohl den Haushalt weiter kräftig kürzen, was tiefe Spuren in der Wirtschaft hinterlassen würde.
"Ich glaube nicht, dass Italien eine weitere Haushaltskonsolidierung vornehmen sollte, wenn die Wirtschaft so weit unter ihrem Potenzial ist", sagt Zsolt Darvas, Volkswirt bei der Brüsseler Denkfabrik Bruegel.
Wenn die Regierung sich 2016 an die neue Regel halten will, muss sie sich jetzt darauf vorbereiten. Sie müsste jahrelang große Haushaltsüberschüsse - Zinszahlungen ausgenommen - erzielen. Für einen Industriestaat wie Italien wäre das ein Novum, sagt Darvas.
Die Kommission fordert, dass Italien 2015 einen strukturell ausgeglichenen Haushalt, der sich an der Stärke der Wirtschaft orientiert, erreicht. Renzi will dieses Ziel ein Jahr hinausschieben.
"Einen strukturell ausgeglichenen Haushalt zu erreichen und aufrechtzuerhalten, ist für Italien notwendig, um den sehr hohen Schuldenstand nach unten zu drücken", sagt Kommissionssprecher Simon O'Connor. "Aber genauso wichtig ist die Umsetzung von Reformen, um die Produktivität und das Wirtschaftswachstum zu steigern."
Viele Volkswirte glauben aber, dass es Jahre dauern könnte, bis diese Reformen greifen. So viel Zeit hat Italien nicht. Der neue EU-Wirtschaftskommissar wird im Herbst ein schweres Amt antreten. Er muss entscheiden, ob Rom die neuen Regeln eins zu eins einhalten muss oder mehr Spielraum bekommt. Davon könnte die Zukunft von Ministerpräsident Renzi abhängen.
(Diesen Bericht und weitere tiefergehende Meldungen und Analysen zu aktuellen Wirtschafts- und Finanzthemen finden Sie auf WSJ.de, dem deutschsprachigen Online-Angebot des Wall Street Journal.)
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April 25, 2014 05:15 ET (09:15 GMT)
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