16.12.2016 13:46:00
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IHS-Chef zur Konjunktur: "Die Lage ist ernst, aber hoffnungsvoll"
Eigentlich beschleunigt sich das Wirtschaftswachstum in Österreich momentan sogar, nämlich - bereinigt um die Zahl der Arbeitstage - von heuer 1,3 Prozent auf 1,7 Prozent 2017. Diese Beschleunigung könne man sogar einen "Aufschwung" nennen, so Badelt. Unbereinigt geht das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) von 1,5 Prozent realem BIP-Anstieg in beiden Jahren aus - also einer "Erholung" -, das IHS von je 1,4 Prozent.
"In den beiden Jahren verbergen sich hinter ähnlichen Zahlen andere Inhalte", so Badelt vor Journalisten. 2016 sei die Konjunktur noch stark vom Privatkonsum getragen, da die Steuerreform-Effekte Mitte 2017 aber nachlassen, dürfte der heuer negative Außenbeitrag "wieder stärker zum Konjunkturträger werden", meinte der Wifo-Chef.
Alle "Neuigkeiten" seien momentan positiv, meinte Badelt. So liege das Wachstum heuer - erstmals seit 2012 - deutlich über einem Prozent, voriges Jahr waren es real plus 1,0 Prozent gewesen. Eine Wachstumsrate über zwei Prozent werde es aber auf längere Sicht nicht geben, auch im übrigen (West-) Europa nicht, sind sich die Experten einig. Der reale Konsum sei auch in Österreich zu einem Träger der konjunkturellen Entwicklung geworden, davor habe es seit 2013 hier ja eine Schrumpfung gegeben. Die Lage in der Bauwirtschaft habe sich 2016 ins Positive gedreht, wenn auch zunächst nur im Wirtschaftsbau, aber "auch der Wohnbau dürfte nachziehen". Und erstmals seit 2012 sei die Inländer-Arbeitslosigkeit gesunken, so der Wifo-Chef.
"Die Arbeitslosigkeit ist und bleibt das Problem Nummer 1", betonte Badelt, hier gebe es "nach wie vor ein soziales Problem". Vor allem über die Gefahr einer Verfestigung mache man sich besondere Sorgen, denn daraus wäre extrem schwer wieder herauszukommen. 2013 habe der Anteil der Langzeitarbeitslosen 20 Prozent betragen, heuer seien es schon 34 Prozent. Nötig sei "eine Mischung aus langfristiger und kurzfristiger Bildungspolitik" sowie nachfrageseitig wirksame Investitionen des Staates, die günstig für die Beschäftigung wären, wie der frühere WU-Rektor meinte. Es gebe aber "kein Patentrezept, die Arbeitslosenrate auf Knopfdruck um ein oder anderthalb Prozent zu senken".
Sorgen bereite der Arbeitsmarkt, weil die Beschäftigtenzahl relativ stark steige, das Arbeitskräfteangebot aber eher noch stärker - nämlich aus Mittelosteuropa, aber auch durch Frauen und Ältere, so IHS-Leiter Kocher. Zudem gebe relativ starke Anzeichen für einen Mismatch am Arbeitsmarkt. Laut IHS dürfte die Arbeitslosenrate nach heuer 9,1 Prozent nächstes Jahr auf 9,5 Prozent und dann auf 9,6 Prozent klettern. Das Wifo rechnet für 2017/18 mit 9,3 und 9,5 Prozent.
Hier stehe die Politik 2017 auch vor bestimmten Aufgaben, gab Kocher zu verstehen - jetzt, angesichts der konjunkturell stabilen Entwicklung sei ein "perfekter Zeitpunkt für Reformen". Als erstes nannte er dabei den Arbeitsmarkt: "Die höhere Arbeitslosigkeit sollte nicht strukturell werden." Zudem gehe es um die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Österreich durch Bildung, Forschung und Entwicklung sowie Investitionen und Entbürokratisierung. Da die Konjunktur derzeit einigermaßen stabil sei, sei ein perfekter Zeitpunkt für Reformen, meinte Kocher.
Für 2018/19 könnte "eine kluge Steuerreform" weitere Impulse geben, meinte der IHS-Chef. Wifo-Chef Badelt sieht dies ähnlich, denn ab Mitte 2017 "schleicht sich wieder das Thema der kalten Progression heran". Die Abgabenbelastung und die Verschuldung müsse gesenkt. Ausgaben seien, wo nicht nötig, durch Strukturreformen zu bremsen. Die kalte Progression sei nur "ein Puzzlestein in einem größeren Komplex", die Frage laute: "Wie kann es längerfristig mit dem Privatkonsum weitergehen?" Denn "die Steuerreform-Effekte werden langsam versickern".
Für Badelt sollte die Struktur des gesamten Abgabensystems, inklusive Sozialversicherungsbeiträge, verändert werden. Das beginne mit der Entlastung des Faktors Arbeit und gehe bis zur Ökologisierung des Steuersystems. IHS-Chef Kocher bezeichnete die Lohnnebenkosten als "sehr hoch", "da müsste es eine Senkung geben" - die werde von der Politik für 2017 ohnedies schon überlegt. Die Gegenfinanzierung könnte man aus seiner Sicht zu einem kleinen Teil auch einnahmenseitig vornehmen, Stichwort Ökologisierung, großteils müsse sie jedoch ausgabenseitig erfolgen.
Lohnseitig erwartet Helmut Hofer vom IHS für 2017 "härtere Verteilungskämpfe", "die nächsten Lohnverhandlungen werden nicht sehr lustig", weil nämlich eine nachhaltige Stärkung der Einkommen nur bei höherer Arbeitsproduktivität möglich wäre, diese sei in Österreich aber niedrig. Neben mehr F&E, Bildung und Investitionen gehe es auch um eine Änderung der Mentalität, denn Innovationen seien nicht so gut angesehen, es gebe eine "Wissenschaftsskepsis".
Dass sich die Inflationsraten von Österreich und dem Euroraum bzw. dem Haupthandelspartner Deutschland einander wieder annähern, nachdem die Preise bei uns in manchen Bereichen davongaloppiert waren, wird von beiden Instituten begrüßt. Die Befürchtung von Wettbewerbsproblemen werde also geringer, meinte etwa IHS-Chef Kocher. Dass die Teuerungsrate anziehe, liege am Ölpreis-Basiseffekt. Und dass in einem Währungsraum nicht alle Länder in gleichem Maß von einer Inflation profitieren, müsse man aushalten. Er wäre auch für einen früheren Ausstieg der EZB aus ihrem Anleihen-Ankaufsprogramm gewesen. An der "kalten Enteignung" durch die niedrigen Zinsen werde sich vorerst nicht allzu viel ändern, meinte Badelt, der Zins-Aufwärtstrend werde aber langsam kommen. Auch er wäre für einen schnelleren Abschied der Eurohüter aus dem QE2-Programm. Steigen die Zinsen, müsste das aber auch langsam auf die Sparer übergreifen, so der Wifo-Chef. Sein Stellvertreter Marcus Scheiblecker verwies darauf, dass es Hauptziel der EZB sei, die Inflation (in Richtung zwei Prozent, Anm.) anzuheben, "dafür werden sie bezahlt". Derzeit sei die EZB besorgt, weil sie drei Jahre ihr Inflationsziel verfehlt habe. Badelts Konter: "Man könnte auch sagen, die zwei Prozent sind kein Heiligtum."
Die BIP-Prognosedaten für 2018 seien "mit absoluter Vorsicht zu genießen", betonte Kocher: "Es gab noch nie eine Situation, wo die politischen Risiken so hoch, aber die Konjunkturaussichten so gut waren." Sein Institut geht für 2018 von 1,5 Prozent realem Wirtschaftswachstum aus, das Wifo von 1,4 Prozent. Stefan Schimann, unter dessen Ägide im Wifo diesmal die Prognose erstellt wurde, verwies etwa auf mögliche negative Risiken wie den 2017 auszuhandelnden Brexit sowie die Finanzmärkte, etwa weil die Ertragslage der Banken im Euroraum schwach sei, "nicht nur in Italien".
(Schluss/folgt Zus.) sp/ivn
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