Griechenland am Wendepunkt 27.02.2015 10:34:47

Griechen mit großer Angst vor dem Finanzkollaps

Alle hoffen, dass es nicht die große humanitäre Katastrophe wird, die ein chaotischer Grexit, der Austritt aus dem Euroland, mit sich bringen würde. In Cafés, beim Friseur, in der Schule, am Arbeitsplatz, überall gibt es nur noch ein Thema: Werden wir es schaffen? Wird Griechenland im Euroland bleiben? Oder werden wir pleitegehen und endgültig verarmen? Und was wird aus unseren Kindern? Wandern sie aus? "Mein Sohn hat studiert, er suchte vier Jahre lang Arbeit und jetzt ist er weg", sagt Spyros Mihas, ein 58 Jahre alter Hotelangestellter. Der Sohn, ein Elektroingenieur, hat endlich Arbeit gefunden - in Saudi-Arabien. Seine schwangere Frau und seinen kleinen Sohn musste er zurücklassen.

Alle wissen, was Sache ist und wo das Problem liegt: Das Land hat ein gewaltiges Liquiditätsproblem. Daran ändert auch der griechische Pop-Star-Finanzminister Gianis Varoufakis mit seinem Jet-Set-Stil und Sprüchen wie "Wir wollen keine zusätzlichen Kredite mehr" nichts. Die Regierung, die Banken und die Bürger, alle sind sie gleichermaßen finanziell klamm.

Die Regierung sucht fieberhaft Gelder für die Begleichung ihrer nächsten Schuldenrate an den IWF im März in Höhe von 1,5 Milliarden Euro. Zudem laufen Schuldverschreibungen mit kurzen Laufzeiten von drei bis sechs Monaten in Höhe von 1,4 Milliarden Euro und zwei weitere in Höhe von 1,6 Milliarden Euro aus. Kann die Regierung die Gelder nicht aufbringen, könnte es zu einem finanziellen "sudden death" kommen, wie im Fußball die plötzliche Niederlage durch ein Tor in der Verlängerung genannt wird.

Auch den Banken geht das Geld aus. Kunden plündern aus Angst vor dem Grexit ihre Konten und haben allein in den vergangenen zwei Monaten Schätzungen zufolge bis zu 25 Milliarden Euro abgehoben. Bei der Wahl im Januar haben sie zwar für den Radikallinken Alexis Tsipras gestimmt, aber bei ihren eigenen Finanzen gehen sie lieber auf Nummer Sicher. Ein Angestellter erzählt, dass er vergangene Woche aus Angst vor einer Pleite seiner Bank seine letzten 1200 Euro abgehoben hat. "Jetzt fürchte ich mich vor Räubern", sagt er. Die wissen, dass derzeit viel Geld in den Truhen der Leute versteckt ist. Die Polizei warnt, nur nicht zu viel Bargeld zu Hause aufzubewahren.

Die Misere betrifft fast alle Bevölkerungsschichten. Am schlimmsten ist es für die Armen. Die magere und schmächtige Eva V. hat lange als Putzfrau gearbeitet. Seit fünf Jahren aber ist sie schon arbeitslos. Jetzt ist die 61-Jährige krank und kann nicht mehr arbeiten. Anspruch auf eine Minimalrente von 200 Euro wird sie erst in vier Jahren haben. Nachbarn im Armenviertel von Piräus Drapetsona füttert die Frau durch. Die Kirche und humanitäre Organisationen sowie Kommunen versorgen landesweit schon mehr als 500 000 Menschen mit Essen.

Auch die Mittelklasse leidet. "Ich habe 41 Jahre alleine in meiner kleinen Apotheke gearbeitet und immer den Höchstsatz bezahlt, damit ich eine bessere Rente bekomme. Jetzt haben sie (die Regierung) sie mir gekürzt und ich bekomme nur noch 1030 Euro (statt 1600 vor vier Jahren)", sagt die ehemalige Apothekerin Ioanna Mexi. Sie galt bis vor wenigen Jahren als privilegiert: Ioanna hat von ihrem Vater drei Mietwohnungen geerbt. Doch auch die bringen kaum noch Geld. Zwei stehen leer, weil niemand Geld für die Miete hat. In der dritten wohnen Leute, die seit drei Jahren arbeitslos sind und nur einen Teil der Miete zahlen können. "Ich kann sie einfach nicht vor die Tür setzen. Ich kenne sie seit 25 Jahren", sagt die Frau.

Nikos Sevdalis, ein junger Arzt aus der Hafenstadt Korinth beschreibt was er in der letzten Zeit erlebt hat: Fünf Jahre mussten die Menschen zusehen, wie viele Kinder ohne Frühstück zur Schule gingen, junge Leute auswanderten, ältere Menschen ohne Krankenversicherung blieben und die Geldgeber ihnen aus der Ferne trotzdem gratulierten, im übertragenden Sinne auf die Schulter klopften und sagten: "Gut so, noch ein Jahr weiter so und euch wird es wieder gut gehen." Das kann kein Volk ertragen, sagt er. Der 30-jährige Mediziner hat in den vergangenen Jahren immer wieder Menschen ohne Krankenversicherung umsonst behandelt. "Sie tun mir alle so leid", sagt er.

Einen Monat nach den Wahlen und dem Sieg des Linksbündnisses Syriza genießt die Regierung Tsipras noch das Vertrauen der Menschen. Sie sehen in ihm eine Hoffung, meint ein Diplomat. Demoskopen rieben sich vergangene Woche verwundert die Augen, als sie in mehreren Umfragen feststellten, dass mehr als 80 Prozent der Befragten die Politik der Regierung befürworten, sogar diejenigen, die Tsipras gar nicht gewählt hatten.

"Er (Tsipras) hat zumindest versucht, mit den Geldgebern eine bessere Vereinbarung auszuhandeln", sagen viele Griechen. "Die jungen Leute hier wählen alle Syriza (die linke Regierungspartei)", erzählt Giorgos Tzanettos, Inhaber einer Bar in der mittelgriechischen Stadt Chalkida. Sie trauen es Tsipras zu, die Steuerhinterziehung zu bekämpfen und die reichen Griechen zu zwingen, endlich ihre Steuern vollständig zu bezahlen. Es wird aber - wenn es überhaupt gelingt - Jahre dauern, bis diese Bemühungen Früchte tragen und genügend Geld in die Staatskassen fließt.

Was aber, wenn das Geld vorher alle ist? Athen muss 2015 insgesamt mehr als 22 Milliarden für den Schuldendienst aufbringen. Allein im Juni, Juli und August werden Schulden in Höhe von fast elf Milliarden Euro fällig. Wenn es keine neuen Kredithilfen gibt, könnte der völlige Zusammenbruch im Sommer kommen. Der Finanzminister setzt auf eine Wunderlösung und die soll so gehen: Anleihen ohne Endfälligkeit (Perpetual Bonds) sowie eine wachstumsgebundene Rückzahlung der Schulden. Seine Vorschläge für neue Umschuldungsmaßnahmen nennt Varoufakis einen intelligenten Umgang mit den Schulden, der den Begriff "Schuldenschnitt" vermeide.

"Lass mich in Ruhe mit allen diesen Begriffen. Ich will wissen, schaffen wir das oder soll ich hier ganz schnell dichtmachen", sagt Neoptolemos Nikolaou. Der Inhaber eines italienischen Restaurants im Zentrum Athens hört, was seine Kunden unter sich sagen. "Glaub mir. Die Leute haben Angst", sagt er. Das Schlimmste sei, dass sich immer mehr Menschen mit der angeblichen Unvermeidbarkeit der Katastrophe abzufinden scheinen. Diplomaten fürchten, dass es dann in Griechenland zu einer gefährlichen Radikalisierung kommen könnte. Eine "Amputation" Griechenlands vom Eurolandkörper werde niemandem gut tun, heißt es doppeldeutig aus Kreisen des Außenministeriums in Athen. Alle würden als Verlierer aus einem solchen Drama hervorgehen.

/tt/DP/zb

--- Von Takis Tsafos, dpa ---

ATHEN (dpa-AFX)

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