23.06.2015 16:08:46
|
Griechenland muss noch den IWF und Deutschland überzeugen
Von Marcus Walker
ATHEN/BRÜSSEL (Dow Jones)--Am Dienstag begann die Arbeit mit dem großen Rechenschieber. Griechenlands Geldgeber nehmen derzeit die am Sonntagabend eingereichten Vorschläge der Regierung in Athen auf Euro und Cent auseinander. Denn am Mittwoch sollen die Finanzminister der Eurozone bei einem Sondertreffen darüber entscheiden, ob Griechenland kurz vor Ablauf der Frist doch noch die notwendige nächste Tranche an Hilfsgeldern erhält, die das Land zahlungsfähig und damit auch im Euro halten kann.
Schon am Montag hatte es in Brüssel eine Reihe von Treffen dazu gegeben, aber trotz vielfacher Einigkeit bleiben noch Differenzen mit den beiden kritischsten Geldgebern Athens, nämlich dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der deutschen Regierung. Der Ton der Kommentare lässt darauf schließen, dass noch zwei weitere Tage harter Verhandlungen vor allen Beteiligten liegen werden.
EU-Vertreter hoffen auf Einigung am Mittwoch Führende Vertreter der Eurozone hoffen, dass die Finanzminister am Mittwoch Einigkeit erzielen können über ein politisches Maßnahmenpaket Athens, dem alle seine Gläubiger -- neben dem IWF die Europäische Zentralbank und die EU -- zustimmen können.
Ansonsten bliebe nur noch das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag als letzter Strohhalm, um eine Rettung für das finanziell gebeutelte südeuropäische Land zu finden. Denn Athen benötigt dringend eine weitere Auszahlung aus dem laufenden Hilfsprogramm vor dem 30. Juni, wenn das Land rund 1,54 Milliarden Euro an den IWF zurückzahlen muss und das bisherige Hilfsprogramm ausläuft.
Kommt bis Monatsende keine Verständigung zustande, dürfte die EZB die Möglichkeit für griechische Banken einschränken, über Notfall-Kreditlinien, die sogenannte Ela-Fazilität, Liquidität von der Eurozone zu bekommen. Griechenlands Banken benötigen diese Gelder -- nach unbestätigten Pressemeldungen mittlerweile annähernd 89 Milliarden Euro -- um die täglich hohen Bargeldabhebungen griechischer Bürger bedienen zu können.
Griechenland bliebe im Gegenzug nichts anderes übrig, als Kapitalverkehrskontrollen einzuführen, was wiederum der ohnehin schon gebeutelten griechischen Wirtschaft einen weiteren Schlag versetzen würde. Am Dienstag erhöhte die EZB die Ela-Fazilität zum dritten Mal innerhalb von drei Arbeitstagen. Für gewöhnlich hatte die EZB nur einmal wöchentlich den Kreditrahmen für griechische Banken überprüft.
Besonders der IWF ist immer noch unzufrieden mit einigen Kernaspekten des griechischen Reformvorschlags. IWF-Chefin Christine Lagarde sagte am späten Montag, der neue Vorschlag Griechenlands sei zwar umfassender und detaillierter als vorherige Pläne, lasse aber immer noch wichtige Details vermissen. Der vorgelegte Plan "fällt immer noch hinter dem zurück, was man erwarten kann", sagte Lagarde.
Griechenland wird also nachlegen müssen, wenn das Land die Zustimmung des IWF und Deutschlands erhalten will. Denn auch Bundeskanzlerin Angela nannte die Vorschläge Athens lediglich "einen guten Ausgangspunkt für weitere Gespräche", warnte zugleich aber davor, dass noch viel zu tun sei und nur wenig Zeit dafür bleibe.
Deutschland sucht den Schulterschluss mit dem IWF Deutschland hat zuletzt immer wieder betont, dass die Zustimmung des IWF unabdinglich sei, um weiteren Auszahlungen an Griechenland zuzustimmen. Der IWF wird in Berlin als Garant dafür gesehen, dass Griechenland an strikten ökonomischen Sparanstrengungen festhalten wird. Viele einflussreiche Politiker in Berlin misstrauen umgekehrt der Brüsseler EU-Kommission, die als zu nachgiebig gegenüber den südeuropäischen Schuldnerländern empfunden wird.
Und der IWF hat in der Tat grundsätzliche Probleme mit der Art und Weise, wie Athen sein Schuldenproblem angehen will. Die griechische Regierung will die Defizite im Rentensystem und im Haushalt dadurch verringern, dass man die Steuern und Sozialabgaben erhöht.
Der IWF will dagegen mehr Ausgabenkürzungen sehen. In Washington glaubt man, dass die Steuern in Griechenland ohnehin schon zu hoch sind und weitere Steuererhöhungen dem Wachstum schaden und es auf Sicht nur noch schwerer machen würden, über ein solides künftiges Wirtschaftswachstum den Schuldenberg allmählich abzutragen.
Der von der linksgerichteten Syriza-Partei bestimmten Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras fällt es dagegen schwer, konkrete Einsparungen bei den Ausgaben zu benennen. Denn damit wären fast immer auch Einschnitte ins Sozialsystem verbunden, was wiederum besonders die Wähler dieser Partei, nämlich Staatsbedienstete und Rentner, treffen würde. Stattdessen will Tsipras lieber Geschäftsleute und die Mittelschicht mit Steuererhöhungen zur Kasse bitten.
Streit zwischen Athen und Washington gibt es auch über geforderte Veränderungen beim Mehrwertsteuersystem. Die Gläubiger verlangen eine Vereinfachung und generelle Erhöhung der Sätze, um mehr Einnahmen zu generieren. Syriza wiederum will Mehrwertsteuererhöhungen so weit wie möglich vermeiden, weil sie vor allem ihre geringverdienende Klientel hart treffen würde.
Und schließlich vermisst der IWF auch ein langfristiges Konzept hinter den Sparanstrengungen Athens. Die Washingtoner Institution möchte eine grundlegende Reform der griechischen Wirtschaft. Nur durch eine Reform der Wirtschaft, die Unternehmer besser stellt und Investitionen belohnt, könne das Land seine langfristigen Wirtschaftsaussichten verbessern.
Der IWF hat dabei einen mächtigen Komplizen in der Eurozone: Deutschland. Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble haben auch in den letzten Tagen wiederholt klar gemacht, dass die größte Volkswirtschaft der Eurozone nur bei einer Verlängerung des Programms für Griechenland mitmacht, wenn der IWF mit den Konditionen dafür zufrieden ist. Entsprechend waren deutsche Regierungsvertreter am Montag irritiert davon, mit welcher Schnelligkeit die EU-Kommission am Montag die Vorschläge aus Athen guthieß.
"Unautorisierte Personen sollten nicht irgendwelche Erwartungen erwecken", grummelte Finanzminister Schäuble am Montag in Brüssel. Damit reagierte er auf einen per Twitter verbreiteten Kommentar des Stabschefs der EU-Kommission, der die Vorschläge aus Griechenland eine "gute Basis für weitere Fortschritte" genannt hatte.
Das deutsche Finanzministerium wies EU-Vertreter vorsorglich auch schon einmal darauf hin, dass das griechische Parlament die entsprechende Gesetze zur Umsetzung der eigenen Vorschläge verabschieden müsse, bevor der Deutsche Bundestag über eine Verlängerung der Hilfszahlungen über den 30. Juni hinaus abstimmen könne. Das hinderte die Euro-Optimisten in Brüssel aber nicht daran, sich auch am Dienstag sehr zuversichtlich zu zeigen. "Ich bin davon überzeugt, dass eine Übereinkunft in dieser Woche möglich ist", sagte EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici im französischen Radio.
Mitarbeit: Inti Landauro in Paris
Kontakt zum Autor: konjunktur.de@dowjones.com
DJG/DJN/kgb/smh
(END) Dow Jones Newswires
June 23, 2015 10:07 ET (14:07 GMT)
Copyright (c) 2015 Dow Jones & Company, Inc.- - 10 07 AM EDT 06-23-15
Wenn Sie mehr über das Thema Aktien erfahren wollen, finden Sie in unserem Ratgeber viele interessante Artikel dazu!
Jetzt informieren!