Ausblick 06.09.2016 11:39:46

EZB ändert Geldpolitik wohl vorerst nicht

Elf Wochen nach dem Votum der Briten für einen EU-Austritt Großbritanniens, das im Vorfeld zum wichtigsten Risiko für Wachstum und Finanzstabilität erklärt worden war, gibt es nur sehr geringe Anzeichen für eine Konjunktureintrübung. Zwar sind auch Inflation und Inflationserwartungen weiterhin schwach, doch sprechen einige Gründe dafür, dass die EZB ihren von vielen Experten erwarteten Lockerungsschritt erst im Dezember tun wird.

Brexit-Votum verschlechtert Aussichten Die Meinung, dass die EZB ihre Geldpolitik wegen der enttäuschenden Inflationsentwicklung in diesem Jahr erneut lockern wird, war schon vor dem Brexit-Votum der Briten unter Volkswirten recht weit verbreitet. Dass die Briten entgegen den Erwartungen tatsächlich für einen Austritt aus der EU gestimmt haben, verbessert den Wachstums- und Inflationsausblick nicht gerade. Darüber sollte die Erleichterung darüber, dass sich die Konjunkturindikatoren des Euroraums bisher überraschend gut halten, nicht hinwegtäuschen.

   Zuletzt gab es Anzeichen für eine verzögerte Reaktion auf das Brexit-Votum: Der deutsche Ifo-Index und der Index der Wirtschaftsstimmung der EU-Kommission fielen im August. Zudem stieg die Inflationsrate im August entgegen den Erwartungen nicht, und die Kerninflationsrate ging sogar zurück. Die marktbasierten Inflationserwartungen sind gleichfalls sehr niedrig.

Keine deutliche Senkung der EZB-Projektionen Die Frage ist, wie sich diese Entwicklungen auf die aktuellen Projektionen des EZB-Stabs auswirken werden. Im Juni prognostizierten die Zentralbankvolkswirte für 2016, 2017 und 2018 Wachstumsraten von 1,6, 1,7 und 1,7 Prozent. Für die Inflation wurden 0,2, 1,3 und 1,6 Prozent erwartet.

   Die meisten Beobachter sind der Ansicht, dass sowohl die Wachstums- als auch die Inflationsprognosen nur leicht reduziert werden dürften. Das würde es der EZB ermöglichen, die von vielen Experten erwartete Ausweitung ihres Ankaufprogramms auf das Jahresende zu verschieben. Dafür spricht auch, dass EZB-Präsident Mario Draghi in seiner Pressekonferenz darauf verweisen kann, dass ein Teil des im März beschlossenen Maßnahmepakets seine Wirkungen erst noch entfalten muss.

   In diese Richtung deuten zudem jüngste Äußerungen des französischen Zentralbankgouverneurs Francois Villeroy de Galhau in Frankfurt. Dieser hatte auf eine Frage nach möglichen weiteren Maßnahmen gesagt, derzeit konzentriere sich die EZB auf die Umsetzung der Beschlüsse aus dem März. EZB-Chefvolkswirt Peter Praet hatte in einer Rede zu Fragen der Finanzstabilität betont, dass die EZB ihr Inflationsziel von knapp 2 Prozent nicht blind und bedingungslos verfolge.

Technische Änderungen am Ankaufprogramm? Gleichwohl wollen Ökonomen nicht ausschließen, dass Draghi der bitteren Medizin geldpolitischer Untätigkeit einen süßen Tropfen beimengen wird. So könnte der EZB-Präsident ankündigen, dass die zuständigen Gremien Optionen für eine Änderung der Kriterien des Ankaufprogramms erarbeiten. Selbst einen schon fertigen Beschluss könnte Draghi der Öffentlichkeit präsentieren.

   Dafür spricht, dass den Zentralbanken die ankaufbaren Anleihen auszugehen beginnen. Manche Experten gehen davon aus, dass das QE-Programm bei den aktuellen Beschränkungen schon Ende 2016 an seine Grenzen stößt. Die Ankäufe sollen aber bis mindestens März 2017 laufen.

   Häufig genannt werden dabei zwei Möglichkeiten: Erstens die Streichung oder Modifikation des Passus, dass die Zentralbanken keine Papiere ankaufen dürfen, deren Rendite unterhalb des EZB-Einlagensatzes (derzeit minus 0,40 Prozent) liegt. Dies schützt die Zentralbanken bisher vor sicheren Bilanzverlusten.

   Zweitens die Anhebung des Emissionslimits von 33 auf 50 Prozent. Das bedeutet: Die Zentralbanken dürften künftig Anleihen eines Emittenten ankaufen, bis sie knapp die Hälfte einer Emission erworben haben.

EZB könnte Emissionslimit anheben Am ehesten denkbar wäre das bei Anleihen, die noch nicht über sogenannte Collective Action Clauses (CACs) verfügen. CACs sind Klauseln, die eine Änderung einzelner Anleihebedingungen von der Zustimmung der Mehrheit der Gläubiger abhängig macht und die im Falle der mehrheitlichen Zustimmung für sämtliche Anleihegläubiger bindend ist. Bei CAC-Anleihen liegt die Sperrminorität bei 33 Prozent.

   Da den Zentralbanken des Euroraums die monetäre Staatsfinanzierung untersagt ist, müssten sie, sollte ein Staat in Zahlungsschwierigkeiten geraten, in der Gläubigerversammlung gegen einen Forderungsverzicht stimmen. Sie würden so aber eine womöglich wünschenswerte Schuldenrestrukturierung verhindern.

   Bei Anleihen ohne diese Klausel, die bis etwa 2013 begeben wurden, gäbe es diese Schwierigkeit jedoch nicht. Hier könnte (oder müsste) zum Beispiel die Bundesbank eine Umschuldung erst ab 50 Prozent der Stimmanteile verhindern.

   Es gibt also genug gute Gründe, warum die EZB mit einer Modifizierung ihres Ankaufsprogramms noch warten könnte. Manche Beobachter wollen allerdings auch eine sofortige Verlängerung des Kaufprogramms um drei bis sechs Monate nicht ausschließen. Bei einer Sache sind sich die Experten dagegen einig: Mit einer Senkung des Einlagenzinses rechnen Experten vorerst nicht mehr.

   Die EZB wird ihre Zinsentscheidung am Donnerstag um 13.45 Uhr mitteilen. Gegen 14.30 Uhr beginnt die Pressekonferenz mit Präsident Draghi, in der er auf eventuelle Änderungen des QE-Programms hinweisen und die neuen Wachstums- sowie Inflationsprognosen verlesen wird.

FRANKFURT (Dow Jones

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