08.10.2013 12:46:00

EU im Umgang mit der Ukraine "schwach und zaghaft"

So nah und doch so fern. So könnte man die wirtschaftlichen Beziehungen Österreichs und der EU mit der früheren Sowjetrepublik Ukraine umschreiben, die zwischen den Blöcken EU und Russland schwenkt und immer noch nicht die Wirtschaftsleistung erreicht, die sie kurz vor dem Zerfall der Sowjetunion hatte. "Zudem kämpft das Land mit einem jährlichen Bevölkerungsrückgang von 200.000 Menschen", erklärte Gregor Postl, bis vor einem Monat Wirtschaftskammer-Handelsdelegierter in Kiew, am Dienstag in Wien.

Ob im November ein mögliches Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet wird, steht indes noch nicht fest. Dass im Abkommen keine Beitrittsoption für die Ukraine in die EU zu finden ist, "zeigt, dass die EU versagt", kritisierte Postl. "Da hat Brüssel wohl Angst, dass man es sich mit Russland verscherzt. Das ist ein bisserl Ja und ein bisserl Nein. Das ist aber ein gefährliches Spiel wegen eines möglichen Schwenks der Ukraine wieder Richtung Russland." Die EU sei "schwach und zaghaft, was sich rächen kann".

Die heimische Handelsbilanz mit der Ukraine war im ersten Halbjahr heuer mit 17,2 Mio. Euro positiv - das Land liegt bei den heimischen Exporten aktuell auf Rang 27, bei den Importen auf Rang 26. Im ersten Halbjahr 2012 hatte sich das Handelsdefizit noch auf minus 102,1 Mio. Euro belaufen. Im Vergleich der beiden Halbjahre stiegen die Exporte um knapp 11 Prozent, die Importe sanken um knapp 21 Prozent.

Die Ukraine betrieb und betreibt laut Postl eine "vektorale Außenpolitik", versucht sich bilateral die Rosinen zwischen EU und Russland zu picken. "Dabei ist die Ukraine Weltmeister im Durchwurschteln." Es sei "fast ein Pech", dass sich das Land nun Ende November, wenn es mit der anstehenden Unterschrift zum Assoziierungsabkommen mit der EU in Vilnius ans Eingemachte geht, in eine Richtung deklarieren muss. Denn eine seitens Russland angestrebte Reintegration der Ukraine in die Zollunion mit Russland, Kasachstan und Belarus sei nach einer Unterfertigung nicht mehr möglich, so Postl, der insgesamt sieben Jahre für Österreich in Kiew arbeitete.

Als sich heuer verstärkt die Tendenz zeigte, die Ukraine werde sich mit der EU assoziieren, kam es laut Postl zu "Handelskriegen" mit Russland, obwohl es ein Freihandelsabkommen unter der GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) gibt, der die Ukraine angehört.

Beispielsweise wurden heuer ukrainische Schokolade, Metalle und Chemikalien bei der Einfuhr nach Russland strengen Kontrollen unterzogen. "Das ist ein Beispiel, was passieren kann, wenn sich die Ukraine mit der EU assoziiert", meinte Postl mit Verweis auf inoffizielle Stimmen aus Russland. Andererseits könne sich Russland mit einem Boykott ukrainischer Waren durch folgende mögliche Preissteigerungen auch ins eigene Fleisch schneiden.

Die Zustimmung zum etwaigen Assoziierungsabkommen sei unter den Ukrainern bereits größer gewesen. Derzeit stehe es Unentschieden zwischen Assoziierung mit der EU oder der Zollunion mit Russland - mit je 30 Prozent Zustimmung. 40 Prozent der Bevölkerung seien Unentschieden.

Das Assoziierungsabkommen, das von jedem EU-Staat nach Unterfertigung noch ratifiziert und dann auch noch vom EU-Rat und -Parlament abgesegnet werden müsste - könnte, so Postl, "theoretisch provisorisch ab 2014 in Kraft treten, offiziell aber erst 2016 mit einer zehn Jahre langen Übergangsfrist".

Viele Warengruppen könnten dann zollfrei über die Grenzen geliefert werden. In Sachen Visa für die Menschen könnte ein Modell nach Vorbild jenes Abkommens mit Serbien kommen. Nach der Übergangsfrist könnte die Ukraine 2026 möglicherweise in der Lage sein, der EU ein Eintrittsansuchen zu stellen. "Vielleicht ist sie 2030 Mitglied", orakelte der Handelsexperte.

Es gibt allerdings auch in der EU noch Zweifel zum Abkommen - und zwar laut Postl hauptsächlich in England, Frankreich und Deutschland. Grund ist die inhaftierte ukrainische Oppositionsführerin Julia Timoschenko. Deutschland bietet eine Behandlung ihres Rückenleidens in Deutschland an, Timoschenko hat bereits eingewilligt und gesagt, sie werde sich nur behandeln lassen und nicht um politische Asyl ansuchen.

Nun soll es von der dahingehenden Entscheidung des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch abhängen, ob das Assoziierungsabkommen tatsächlich unterzeichnet wird. Die EU fordert Timoschenkos Freilassung.

Österreich würde wirtschaftlich jedenfalls vom Abkommen profitieren, so Postl. Derzeit muss schließlich noch jedes Produkt zertifiziert werden, um über die Grenze geliefert werden zu dürfen - egal in welche Richtung. "Das ist ein riesengroßes Hemmnis." Mit dem mit der Ukraine vergleichbaren Polen habe Österreich eine fünfmal größere Handelsbilanz. "Mit der Ukraine würden sich die Geschäfte zwar nicht sofort verfünffachen, aber sie würden doch ansteigen", so Postl. Vor allem heimische Maschinen und Anlagen seien für die Ukraine von Interesse.

(Schluss) phs/ggr

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