24.02.2014 06:52:33

EU-Kritiker Cameron fehlen die Mitstreiter und hofft auf Merkel

   Von Tom Fairless

   BRÜSSEL-Schon seit langem verlangt David Cameron, dass die EU-Staaten wieder mehr Macht aus Brüssel zurückholen. Jetzt scheint er dabei endlich einige Anhänger zu finden.

   Der britische Premier will unter anderem die Einwanderungsgesetze für die Europäische Union überarbeiten und den Regierungen der Mitgliedsstaaten wieder mehr Eigenverantwortung einräumen. 2017 will er die Briten befragen, ob sie weiterhin Mitglied der Staatengemeinschaft sein wollen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass seine Partei bei den Wahlen im nächsten Jahr Erfolg hat.

   Dazu will sich Cameron auch die Unterstützung von Bundeskanzlerin Angela Merkel sichern, die in dieser Woche Großbritannien besucht und als erste deutsche Regierungschefin vor dem britischen Parlament sprechen wird. Der Premierminister hofft dabei, so berichtet die britische Zeitung The Daily Telegraph, auf Anschub für die britische Pläne, die Beziehungen zur Europäischen Union neu zu regeln, indem die Europäischen Verträge geändert werden. Außenminister William Hague hatte am Sonntag unterstrichen, dass die britische Regierung Deutschland als den wichtigsten Partner für eine Reform der EU sehe, so die Zeitung.

   Auch in anderen Staaten finden diese Ideen inzwischen Anklang. Der niederländische Außenminister Frans Timmermans verlangte diese Woche eine größere Rolle der nationalen Parlamente bei Entscheidungsprozessen in Brüssel sowie eine kleinere Europäische Kommission.

   Die französische Regierung, die meist überzeugter Unterstützer einer stärkeren europäischen Integration ist, wünscht sich eine "effizientere" Union. Selbst hochrangige EU-Vertreter beteiligen sich an der Diskussion. Europa solle sich nicht einmischen, wo es nichts zu sagen hat, sagte Kommissionspräsident José Manuel Barroso vergangene Woche. Für die Europawahl im Mai macht die CDU in Deutschland Wahlkampf mit weniger Reglementierung aus Brüssel und mehr Einschränkungen für europäische Migranten.

   Bei den anstehenden Europawahlen dürften rechte EU-feindliche Parteien große Zugewinne verbuchen. Durch die langwierige Wirtschaftskrise der Gemeinschaft sind viele Wähler mit den großen Parteien und der Elite in Brüssel unzufrieden geworden. Viele finden, dass Brüssel eine Menge Macht angesammelt hat, ohne diese richtig einzusetzen.

   Einige Regierungen befürchten, dass eine stärkere europäische Integration zu einem Kontrollverlust bei sensiblen innenpolitischen Themen geführt hat. Deutschland und einige andere Staaten sind auch bereit, Großbritannien in einigen Punkten entgegenzukommen, um das Land in der EU zu behalten. Es soll ein Gegengewicht sein zu den Staaten, die eine starke staatliche Einmischung favorisieren, so wie Frankreich und Italien.

   Schaut man genau hin, zeigt sich jedoch, dass auch Regierungen, die Cameron beizupflichten scheinen, trotzdem Distanz wahren. "Keiner will riskieren, mit Großbritannien später im Regen zu stehen", sagt ein hochrangiger EU-Diplomat.

   Das ließ sich auch bei der Debatte um nationale und europäische Befugnisse beobachten. Im vergangenen Jahr veröffentlichte die niederländische Regierung eine Liste mit 54 Befugnissen, die ihrer Meinung nach weiterhin den Einzelstaaten überlassen sein sollten. Timmermans fand besonders bei der britischen Regierung Anklang, als er schrieb, dass "die Zeit der immer engeren Gemeinschaft in absolut jedem Politikbereich hinter uns liegt".

   Bei einem Treffen mit Barroso betonte der niederländische Premier Mark Rutte vergangene Woche jedoch, dass die Haltung der Niederlande nicht mit der von Großbritannien verwechselt werden sollte, berichtet eine mit dem Gespräch vertraute Person. Die niederländische Regierung wolle an der Aufteilung der Befugnisse nicht rütteln.

   Der finnische Premierminister Jyrki Katainen sagte im Januar zum Wall Street Journal, dass die Macht von Brüssel eingeschränkt werden sollte. Bereiche wie Haushaltspolitik und Wettbewerbsfähigkeit sollten in der Hand der Einzelstaaten bleiben.

   Katainen argumentierte jedoch auch, dass es andere Bereiche gebe, wo eine stärkere Integration Sinn mache, darunter Verteidigung und Energie. "Anstatt Befugnisse zu den Einzelstaaten zurückzuführen, sollten wir uns darauf konzentrieren, Bereiche zu deregulieren, wo wir zu weit gegangen sind", sagt er. Zum Beispiel könnten auf dem europäischen Dienstleistungsmarkt 28 nationale Regeln mit einer EU-Regel ersetzt werden.

   Beim Thema Einwanderung will Cameron verhindern, dass Menschen nicht zum Arbeiten, sondern wegen der Sozialleistungen in ein anderes EU-Land ziehen. Außerdem will er die Migration aus neuen Mitgliedsstaaten einschränken, indem die Einwanderung in Großbritannien zum Beispiel von den Gehältern im Heimatland abhängig gemacht wird.

   Eine Reihe von EU-Staaten, darunter auch Deutschland und die Niederlande, wollen genau wie Cameron die Wohlfahrtsmigration einschränken, jedoch haben sie wenig Lust darauf, die Freizügigkeit in der EU generell zu untergraben.

   Cameron verlangt sogar Änderungen der EU-Verträge - ein komplexer Prozess, dem alle 28 Mitgliedsstaaten zustimmen müssten. Als 2005 versucht wurde, die existierenden Verträge mit einer EU-Verfassung zu ersetzen, sperrten sich Frankreich und die Niederlande. Daraufhin wurden einige Verträge so angepasst, dass manche Reformen trotzdem noch umgesetzt werden konnten.

   Es wird keinen überraschen, dass Franzosen und Niederländer diese Erfahrung nur ungern noch einmal durchmachen wollen. Deutschland ist nicht grundsätzlich gegen eine Änderung der Verträge, will jedoch zuerst konkrete Vorschläge sehen.

   Großbritannien argumentiert, dass eine Änderung der Verträge unumgänglich sei, nicht zuletzt wegen der tiefgreifenden Veränderungen in der EU-Verwaltung, auf die man sich während der Krise geeinigt hat. Cameron will, dass Staaten flexibel, mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und in verschiedenen Bereichen zusammenarbeiten können. Nationale Parlamente sollen außerdem mehr Mitspracherecht bei der Verabschiedung von EU-Gesetzen haben.

   Gegner warnen jedoch, dass dieser Ansatz die Einheit der Staatengemeinschaft untergraben würde. "Flexibilität ist notwendig, aber das bedeutet nicht, dass wir auf ein Europa à la carte umsteigen sollten", sagt Barroso.

   Am Ende wird voraussichtlich ein unbequemer Kompromiss stehen, der einige Verantwortungen verlagert, jedoch keine tiefgreifenden Reformen mit sich bringt. Ob Cameron das genug ist, wird sich womöglich in den britischen Wahllokalen zeigen.

   Kontakt zum Autor: konjunktur.de@dowjones.com

   DJG/WSJ/DJN/smh

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