Keine leichte Entscheidung |
19.08.2015 15:20:45
|
Deutscher Bundestag billigt drittes Griechenland-Hifsprogramm mit breiter Mehrheit
In der Debatte über die Finanzhilfen hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Abgeordneten zuvor zur Zustimmung aufgerufen. "Die Entscheidung über ein weiteres Hilfsprogramm für Griechenland fällt nicht leicht", räumte der Finanzminister ein. "Es gibt beachtliche Gründe dafür und dagegen, ökonomisch und politisch." Aber das griechische Parlament habe einen Großteil der Maßnahmen schon beschlossen, und deshalb "wäre es unverantwortlich, die Chance für einen Neuanfang nicht zu nutzen".
Als wichtige Maßnahmen des Programms verwies der Finanzminister besonders auf die Liberalisierung des Energiemarktes, die Abschaffung von Steuervergünstigungen, die Bekämpfung der Korruption in der öffentlichen Verwaltung, einen Umbau im Renten- und Gesundheitswesen, die Wiederherstellung der Liquidität angeschlagener Banken, den Umgang mit notleidenden Krediten und die Einrichtung eines Privatisierungsfonds.
Schäuble nannte es erneut "unabdingbar" für die Bundesregierung, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) bei der Griechenland-Hilfe an Bord bleibt, und zwar "auch finanziell". Einen Schuldenschnitt schloss er aber aus, und der Spielraum für weitere Schuldenerleichterungen sei angesichts der bereits sehr günstigen Konditionen "ein begrenzter". Das Hilfsprogramm habe "eine neue Qualität," meinte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, der sagte, über Schuldenerleichterungen könne man nach der Überprüfung des Programms im Herbst reden. Am Ende sei das Programm zwar "ein Kompromiss", dieser sei aber ambitioniert und könne die Grundlage für umfassende Veränderungen in Griechenland sein.Deutliche Kritik der Opposition
Linksfraktionschef Gregor Gysi kritisierte die Bundesregierung hingegen scharf für die Griechenland-Verhandlungen. Gysi nannte unter anderem die vorgeschriebene Privatisierung von Staatsbesitz einen falschen Schritt, der weiter zum Niedergang der griechischen Finanzen beitrage. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter erhob seinerseits schwere Vorwürfe ebenso an die Adresse der Bundesregierung wie der Linken. "Eine Regierungsspitze, die so agiert, schadet dem Zusammenhalt in Europa", sagte er zu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Linken seien unsolidarisch. Die Grünen stimmten dem Hilfspaket trotz vieler Defizite mehrheitlich zu, weil die sonst drohende Alternative eines Ausscheidens Griechenlands aus dem Euro "schlichtweg noch schlimmer" wäre.
Die Bundesregierung zeigte sich aber zufrieden mit dem Ergebnis. Die Regierung habe für dieses dritte Hilfspaket geworben, und jetzt gebe es die entsprechende Zustimmung der Parlamentarier, betonte Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz bei einer Pressekonferenz. "Diese Zustimmung begrüßt die Bundesregierung." Die deutsche Finanzwirtschaft mahnte eine Umsetzung der Reformen durch Athen an. "Nun liegt der Erfolg des Rettungsprogramms allein in der Hand der Griechen," sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, Michael Kemmer. Wichtig sei die verlässliche Umsetzung nachhaltiger Reformen, die Griechenland Stabilität, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum brächten, betonte der Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft, Alexander Erdland. "Die Eurozone muss endlich zur ökonomischen Normalität zurückkehren und den Krisenmodus aus Milliardenhilfen und künstlichen Niedrigzinsen hinter sich lassen," verlangte er. FDP hält Hilfen für rechtswidrigAndere Reaktionen fielen negativer aus. "Der Mittelstand ist enttäuscht", konstatierte der Präsident Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven. "Ich hätte mir mehr Rückgrat der Politik gewünscht." Ohoven sprach von einer "Fehlentscheidung", mit der Mehrheit des Bundestags "unserem Land, der Europäischen Union aber auch Griechenland einen Bärendienst mit fatalen Folgen erwiesen" habe. Die griechische Regierung könne ihren Kurs der "Reformverweigerung" mit frischem Geld fortsetzen. "Die Zeche dafür werden wieder einmal wir alle zahlen."
Die FDP kritisierte das Hilfspaket als "rechtswidrig, ökonomisch verfehlt und europapolitisch gefährlich". Zwei rechtliche Voraussetzungen für ein Hilfspaket des Euro-Rettungsschirms ESM seien nicht erfüllt, meinte Präsidiumsmitglied Alexander Graf Lambsdorff: Weder sei die Stabilität der Eurozone als Ganze in Gefahr, noch sei die Schuldentragfähigkeit Griechenlands gegeben. "Der Bundesfinanzminister hat in seiner Rede noch nicht einmal den Versuch unternommen, das Vorhandensein einer Gefahr für die Eurozone darzulegen", kritisierte er. "Das belegt, dass der Rechtsbruch von der Großen Koalition wissentlich und willentlich begangen wird."
Die Finanzminister der Euro-Länder hatten am vergangenen Freitagabend grünes Licht für bis zu 86 Milliarden Euro an neuen Finanzhilfen für Griechenland gegeben. Die Mittel sollen über drei Jahre vor allem aus dem Euro-Rettungsfonds ESM fließen. Als erste Tranche soll Athen 26 Milliarden Euro erhalten. Davon sollen 13 Milliarden Euro direkt am Donnerstag nach Athen fließen. Die Hellenen müssen an diesem Tag 3,2 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank (EZB) zurückzahlen. Athen verspricht umfangreiche ReformenIm Gegenzug hat sich Athen zu einer umfangreichen Liste an Reformen bekannt, deren Umsetzung in regelmäßigen Abständen von den Geldgebern überprüft werden soll. Athen verpflichtet sich dazu, mittelfristig einen Primärüberschuss - also ein Haushaltsplus ohne Zinszahlungen - von 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung zu erreichen. Vorgesehen ist dies in Stufen über zunächst minus 0,25 Prozent in diesem Jahr und 0,5 Prozent im Jahr 2016. Dies soll durch eine Steuerreform geschafft werden, die auch das Mehrwertsteuer- und das Rentensystem umfasst.
Um das Problem notleidender Kredite in den Griff zu bekommen, soll Athen die Rekapitalisierung der notleidenden Banken noch vor Ende dieses Jahres abschließen. Anleiheinhaber sollen hierzu einen Beitrag leisten müssen - aber Einleger nicht. Zur Stärkung von Wachstum und Investitionen muss Griechenland eine breite Zahl von Reformen an den Arbeits- und Produktmärkten anstoßen, besonders auch im Energiebereich. Athen verspricht zudem ein "ambitioniertes Privatisierungsprogramm" und soll bis Jahresende einen Privatisierungsfonds über 50 Milliarden Euro auf den Weg bringen. Beteiligung des IWF noch unsicherEin Knackpunkt bei dem Paket ist allerdings noch die Beteiligung des IWF, der darüber erst im Oktober entscheiden will und deutliche Schuldenerleichterungen für Athen verlangt hat, weil seine Regularien Kredite für ein Land nur bei dessen ausreichender Schuldentragfähigkeit gestatten.
In ihrer Analyse der griechischen Schuldentragfähigkeit haben EU-Kommission, EZB und der Euro-Rettungsfonds ESM die künftige Verschuldung Griechenlands allerdings inzwischen wesentlich pessimistischer beurteilt als bisher. Selbst wenn Athen das geplante Reformprogramm umsetze, dürfte die Verschuldung im Jahr 2022 nach ihren jüngsten Berechnungen bei 159,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen. Ursprünglich sollte sie bis dahin auf unter 110 Prozent gesunken sein.
Zur Bestimmung der Schuldentragfähigkeit soll nach dem Willen Schäubles künftig deshalb nicht mehr der Vergleich der Staatsschuld zur Wirtschaftsleistung entscheidend sein, sondern der Anteil von Zinsen und Tilgung daran. Dies soll eine Beteiligung des IWF an dem Programm ermöglichen. Deutschland hat auch eine weitere Restrukturierung der griechischen Schulden angeboten, wenn Athen Reformen umsetzt. Dies könnte die zins- und tilgungsfreien Zeiten ebenso betreffen wie die Dauer der Tilgung und das Zinsniveau. BERLIN (Dow Jones)Wenn Sie mehr über das Thema Aktien erfahren wollen, finden Sie in unserem Ratgeber viele interessante Artikel dazu!
Jetzt informieren!
Weitere Links: