20.10.2015 14:50:00
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Börsenexperten: Kapitalmarkt braucht keine Reform, sondern "Neustart"
Für den Erste Group-Chefanalysten und ÖVFA-Präsidenten Friedrich Mostböck ist die Kapitalmarktkultur bereits auf einem "Nullpunkt" angekommen. Entsprechend sei nicht nur eine Kapitalmarktwende, sondern ein "Neustart" nötig. Im öffentlichen Verständnis sei die Börse oft noch ein "Pfui-Eck", so ÖVP-Finanzsprecher und Obmann des Fachverbandes der Pensionskassen, Andreas Zakostelsky. Tatsächlich sei eine Börsennotiz ein wichtiger Entwicklungsmotor für ein Unternehmen, waren sich die meisten Diskutanten einig. Viele österreichische börsennotierte Unternehmen seien auch im internationalen Vergleich sehr gut "herzeigbar", so Mostböck.
Österreich liege im Verhältnis von Marktkapitalisierung zur Wirtschaftsleistung aber deutlich hinter anderen Ländern. Auch der Kurszettel der Wiener Börse ist in den vergangenen Jahren merklich geschrumpft. Der Börsenabgang einiger mittelgroßer Unternehmen sei zwar bedauerlich, noch weitaus schmerzlicher für den Kapitalmarkt wäre aber ein Rückzug eines Börsenschwergewichts, erklärte voestalpine-Finanzvorstand und Präsident des Aktienforums Robert Ottel. Das Geschäftsmodell der Wiener Börse sei abhängig von wenigen großen Werten, "wenn einer von denen weg ist, ist es hin", so Ottel.
Auf der anderen Seite seien immer weniger Unternehmen bereit an die Börse zu gehen, so Ottel. Dies liege auch an mangelnden Anreizen und dem großen Regulierungsaufwand. Als "Gold-Plating" kritisierten mehrere Diskutanten die Umsetzung von EU-Direktiven in Österreich. Das heißt, Vorgaben von der EU werden hierzulande oft strenger als notwendig in nationalem Recht implementiert, so Ottel und Zakostelsky. Für Zakostelsky ist das ein elementares Problem der ganzen Finanzdienstleistungsbranche.
Anderer Meinung ist SPÖ-Budgetsprecher Kai Jan Krainer. Werden Regeln, die später für alle gelten, bei uns zeitgerecht oder früher umsetzt, mache das heimische Unternehmen nur fitter. So haben viele Unternehmen davon profitiert, dass sie wegen der Vorreiterrolle Österreichs bei Umwelt-Gesetzen früher als andere gezwungen waren, sich darauf einzustellen.
Scharf kritisiert wurde von einigen Diskutanten die Höhe der Kapitalertragssteuer (KESt). Die KESt auf Aktien trage kaum zu den Staatseinnehmen bei und treffe meist auch nicht große Investoren, sondern schrecke vor allem Privataktionäre ab, so Mostböck. Damit sei der Aktionärsanteil in Österreichs Bevölkerung über die Jahre von sieben bis acht auf rund drei Prozent zurück gegangen.
Für Krainer haben nicht die KESt, sondern vielmehr Skandalfälle wie Meinl European Land die Anleger verschreckt: Viele Erstanleger "haben sich hier die Finger verbrannt". Ottel kritisierte dass bei derartigen Skandalfällen nicht zeitnah reagiert werde.
Verbesserungen erhoffen sich mehrere Diskutanten von einer vereinfachten Prospektpflicht. Der Aktionsplan der Kommission zur Kapitalmarktunion wurde am Podium begrüßt. Unterschiedlich wurde die regulatorische Erleichterung von Crowdfunding bewertet. Für Zakostelsky war das neue Crowdfunding-Gesetz "längst überfällig". Krainer kritisierte, dass sich hinter Crowdfunding oft hochriskante Eigenkapitalmodelle stecken. Für Ottel sind einige Crowdfunding-Anlagen mehr eine freiwillige Spende für ein Projekt als Veranlagung.
Ambivalent wurden weitere Privatisierungsschritte gesehen. Für Krainer ist hundertprozentiger Staatsbesitz in bestimmten Unternehmen ein wichtiges Instrument, um politische Infrastruktur-Ziele umzusetzen. Nur ein staatsnahes Unternehmen könne etwa die Netzabdeckung in Gebieten sicherstellen, die ein rein privater Telekom-Konzern aus Rentabilitätsgründen nicht abdecken würde.
Mostböck sieht reinen Staatsbesitz kritisch, da in der Praxis nur durch die Börse der nötige Effizienzdruck komme. Mostböck wünscht sich aber einen Staats-Minderheitsanteil bei für die Infrastruktur wichtigen Unternehmen in Bereichen wie Telekommunikation, Energie, Wasser oder Verkehr.
(Schluss) mik/tsk
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