01.12.2015 16:27:46
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BIZ-Chefvolkswirt findet Sorgen wegen niedriger Inflation übertrieben
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Der Chefvolkswirt der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), Claudio Borio, hat davor gewarnt, die Geldpolitik an überzogenen Inflationserwartungen auszurichten. Kurz vor der nächsten Sitzung des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) sagte Borio in Frankfurt: "Viele machen sich Sorgen wegen der niedrigen Inflation, aber diese Sorge ist übertrieben." Borrio bezeichnete die niedrige Teuerung als "eine große Errungenschaft".
Borio zufolge ist Geld- und Wirtschaftspolitik derzeit zu sehr auf die kurzfristige Inflations- und Konjunkturdynamik fixiert. Statt dessen sollte sie stärker auf Finanzzyklen achten und Kreditbooms verhindern. Während das Auf und Ab der Wirtschaftsaktivität relativ kurzatmig ist, dauern Finanzzyklen oft viele Jahren. Gemeint ist damit der An- und Abschwellen kreditfinanzierter Finanzbooms.
Nach Einschätzung der BIZ hatte der 2006 in die Finanzkrise mündende Zyklus schon 1995 begonnen. Der 2006 beginnende Abschwung endete 2013. Seither zeigt der Trend wieder nach oben. Folgt die aktuelle Episode dem Muster der vorigen, dann wird der aktuelle Boom noch kräftiger als der vorherige und der anschließende Absturz ebenfalls.
"Finanzkrisen können großen und anhaltenden Schaden anrichten", sagte Claudio Borio. Er rechnete vor, dass ein Kreditboom bereits während seiner Entstehung das Wachstum um jährlich 0,7 Prozentpunkte mindert, indem er Ressourcen in Boom-Bereiche wie Bau- oder Finanzwirtschaft lenkt und so das Produktivitätswachstum beschädigt. Nach dem Platzen der Blase wirke dieser Bremseffekt noch einmal fünf Jahre. "Über zehn Jahre sind das volle 6 Prozentpunkte", sagte der Ökonom.
So kommt es laut Borio, dass zwar erfreulicherweise vielerorts die Wachstumsraten wieder nahezu die gleichen seien wie vor der Krise, aber das Bruttoinlandsprodukt absolut gesehen noch nicht wieder das Vorkrisenniveau erreicht habe.
Dagegen hilft nach Aussage des BIZ-Chefvolkswirts aber keine noch so lockere Geldpolitik. Vielmehr brauche es eine Reparatur der Bilanzen und Strukturreformen. Da die nicht in ausreichendem Maße stattfänden, werde die Geldpolitik überlastet. "Der Wechselkurs wird so zum wichtigsten geldpolitischen Instrument. Das ist der Grund, warum die Zinsen weltweit so niedrig sind", sagte Borio.
Der BIZ-Chefvolkswirt ist zwar auch der Meinung, das sich der Leitzins der Zentralbanken am "Gleichgewichtszins" orientieren sollte. Er ist aber dagegen, die derzeit niedrige Inflation als dessen einzige Bestimmungsgröße zu akzeptieren. Auf diese Weise, so warnte er, könnten Niedriginsen zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden.
"Vor der Finanzkrise ist die Inflation nach allgemeiner Wahrnehmung auch niedrig und stabil gewesen, und dann kam es trotzdem zur Finanzkrise", erinnerte er. Deshalb müsste die Geldpolitik bei der Bestimmung des Gleichgewichtszinses auch den Finanzzyklus in ihre Überlegungen einbeziehen. Im Klartext heißt das: Eine über den Finanzzyklus symmetrische Politik, die bereits die Bildung von Preisblasen dämpft.
Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com
DJG/hab/smh
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December 01, 2015 10:08 ET (15:08 GMT)
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