04.10.2015 13:41:00
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Aiginger: Wo viel gearbeitet wird, soll Arbeitszeit reduziert werden
Fast eine Million Menschen in Österreich wollten weniger arbeiten. "Warum soll man das nicht gestatten, wenn es gleichzeitig mit Lohneinbußen verbunden ist?", so Aiginger. Das sei sicherlich keine "gefahrlose Strategie", weil die Menschen, die weniger verdienen, dann weniger ausgeben. "Aber es ist auch keine richtige Strategie, wenn man die Burnout-Kosten bezahlen muss."
Bei der Diskussion über die Flexibilität sei hierzulande etwas "schiefgelaufen". Aiginger plädiert für eine "symmetrische Flexibilität". Es seien "alle besser dran, wenn die Industrie die Arbeitszeit nach der Nachfrage verändern kann und Arbeitnehmer sich ihre Arbeitszeit etwas einteilen können." Das sei heute nicht der Fall. Wenn sich etwa Männer ein Vaterjahr nehmen wollen, würden sie nach wie vor als "Softie" angesehen, kritisierte der Ökonom.
Zur sechsten Urlaubswoche meinte Aiginger, dass die Industrie dagegen sei, weil sie darin "die 150. Steigerung der Lohnnebenkosten sehe. Gegen eine unbezahlte sechste Urlaubswoche hätte Aiginger nichts. Er würde eine Rückkehr zum "alten Modell" goutieren, in dem Arbeitnehmer zwischen einer höheren Lohnsteigerung oder einer Arbeitszeitverkürzung wählen können.
Zum wiederholten Mal sprach sich der Wifo-Chef für eine Senkung der Lohnnebenkosten aus. "Der Faktor Arbeit ist zu teuer." Das führe dazu, dass es zu wenig Beschäftigung gibt oder Menschen schwarz arbeiten, so Aiginger. Schon bei niedrigen Löhnen gebe es eine große Kluft zwischen Brutto und Netto. Das Geld für eine Lohnnebenkostensenkung könnte sich der Staat etwa über die Erhöhung der Tabaksteuer holen, schlägt Aiginger vor. Denn so üppig, dass man auf die Einnahmen verzichten könnte, sei das Staatsbudget nicht.
Österreichs Wirtschaft sieht Aiginger derzeit auf der "Kriechspur". "Wir haben ein Wettbewerbsproblem" - nicht heute, wo die Leistungsbilanz noch einen Überschuss von 5 Mrd. Euro aufweise, "aber es wird schwieriger", konstatierte der Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung.
Einer der Gründe, warum Österreich puncto Wachstum in den vergangenen zwei Jahren im Vergleich zu den EU-Partnern zurückgefallen ist, sei der geschrumpfte Außenhandel. "Der Exportturbo ist uns ausgefallen." Österreich habe über Jahre hinweg neue Märkte - vorwiegend im Osten - gewonnen. "Jetzt wäre die Ukraine, die Schwarzmeerregion drangewesen", so Aiginger. Aufgrund der Krise in der Ukraine habe es "statt plus 10 jetzt minus 20 Prozent" gegeben. In China seien Österreichs Unternehmen weniger stark als die deutschen.
Ein "Hochlohnland" wie Österreich könne nur an der Spitze bleiben, wenn es in Forschung, Bildung sowie Umwelt investiere. Die Themen Energieeffizienz und erneuerbare Energie sollten zum Wachstumsfaktor gemacht werden. "Wir sind seit 2000 in fast jedem Umweltindikator zurückgefallen. Damit gehen Exportchancen und Arbeitsplätze verloren", so Aiginger.
Zu Studien, wonach hohe Arbeits- und Energiekosten den Industriestandort unattraktiv machten - zuletzt wurde eine solche Studie von der Industriellenvereinigung (IV) und der voestalpine in Auftrag gegegeben -, meinte Aiginger: "Leider spielen Lobbyisten in diesem Bereich eine sehr große Rolle." Die Industrie würde Mehrbelastungen über Forschungsmittel zurückbekommen, sagte der Wifo-Chef.
Die seit dem Jahr 2009 sinkenden Realeinkommen erklärte Aiginger mit der hohen Inflation sowie der hohen Steuerprogression. 2016 sollen die Reallöhne dank Steuerreform um 2,5 Prozent steigen, sagte der Wifo-Chef. Es sei aber "nicht gut", dass die Realeinkommen in jenen Jahren, in denen es keine Steuerreform gegeben hat, stets runtergingen. Aiginger sprach sich in dem Zusammenhang für einen Gebührenstopp in den kommenden zwei Jahren aus.
Die hohe Anzahl an Tagespendlern aus dem Ausland - derzeit kommen täglich 150.000 EU-Bürger nach Österreich zum Arbeiten - sieht Aiginger als Zeichen, wie wichtig offene Grenzen seien. Warum nicht mehr Österreicher beispielsweise aus Wien ins Südburgenland pendeln, um dort einen Job in der Hotellerie annehmen? Das liege an den "Berufswünschen" - es wollten nicht so viele Menschen im Gastgewerbe arbeiten als in dem Sektor an Jobs angeboten werde, so Aiginger. Die "Einkommenswünsche" einer Wiener Familie seien höher.
Dass die Lebensmittelpreise in Österreich um einiges höher als in Deutschland sind, hat laut Aiginger mehrere Ursachen: Der Konzentrationsgrad im Einzelhandel sei hoch, die Gründungsrate niedrig und die bürokratischen Hürden, um einen Gewerbebetrieb aufzumachen, hoch. Zudem sei der österreichische Konsument "nicht sehr bereit zu wechseln", wie man auch im Telekom- und Energiebereich sehe. Es müsse mehr Bewusstsein für Wettbewerb geschaffen werden, forderte der Wifo-Chef.
(Schluss) snu/hac
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