Ausblick auf EZB-Sitzung 01.12.2015 09:42:45

EZB-Chef Mario Draghi schafft keine Überraschung

Die von Dow Jones Newswires befragten Volkswirte erwarten sowohl eine Senkung des Satzes für Bankeinlagen, als auch eine Anhebung des monatlichen Ankaufvolumens. Allerdings setzen sie offenbar nicht darauf, dass es EZB-Präsident Mario Draghi auch dieses Mal gelingen wird, die Finanzmärkte zu überraschen.

   Von den 45 befragten Experten rechnen nur drei mit einem unveränderten Einlagensatz, die übrigen mit einer Senkung um 10 bis 30 Basispunkte. Der Median liegt bei minus 10 Punkten. Das sind etwas weniger als die 13 Punkte, die der Eonia-Future derzeit einpreist. Der aktuelle Einlagensatz der EZB liegt bei minus 0,20 Prozent. Drei Banken (ING, Intesa, ABN Amro) erwarten eine Senkung des Hauptrefinanzierungssatzes auf 0,00 Prozent. Eine Bank, die Deutsche Bank, prognostiziert sogar eine Reduzierung des Hauptrefinanzierungssatzes um 10 Basispunkte auf dann minus 0,05 Prozent. Derzeit liegt dieser Satz bei 0,05 Prozent.

   Auch im Hinblick auf eine mögliche Ausweitung des monatlichen Anleiheankaufvolumens sind die Analysten eher vorsichtig. Manche prognostizieren lediglich eine zeitliche Verlängerung des Programms von monatlich 60 Milliarden Euro. Die 17 Ökonomen, die eine entsprechende Frage beantwortet haben, rechnen im Durchschnitt mit einer Anhebung des monatlichen Ankaufvolumens um 12 Milliarden Euro.

   Keine der Möglichkeiten, die Geldpolitik weiter zu lockern, ist in der EZB völlig unumstritten. Ohne größere Konflikte im Rat dürfte noch die erwartete Senkung des Einlagensatzes über die Bühne zu bringen sein, denn Leitzinsen sind das klassische geldpolitische Instrument einer Notenbank. Kritiker wie Bundesbankpräsident Jens Weidmann oder EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger mögen einen solchen Schritt unnötig finden, Anlass zu Fundamentalkritik an der Zentralbank und den Konstruktionsfehlern der Eurozone böte er indes nicht.

   Je weiter allerdings die EZB den Einlagenzins in den negativen Bereich bewegt desto stärker gerät sie in den Verdacht, vor allem den Außenwert des Euro schwächen zu wollen. Und das gehört nicht zu ihren Aufgaben.

   Verstärkt würde ein solcher Eindruck von einer begleitenden Maßnahme, die in Vorbereitung der Ratssitzung offenbar in den Gremien des Eurosystems diskutiert wird: Die Einführung von Abschlägen auf die zu zahlenden Strafzinsen. Denn ein solches mehrstufiges Zinssystem würde den Druck auf Banken vermindern, ihre Überschussliquidität bei der Zentralbank zu verringern, indem sie mehr Kredite vergeben. Das eigentliche Ziel, die Erhöhung der Kreditvergabe, würde durch ein solches abgestuftes Zinsverfahren also etwas in Frage gestellt, während das vermutete zweite Ziel, die Abschwächung des Außenwertes des Euro, kaum davon beeinträchtigt würde.

   Senkt die EZB ihren Einlagenzins tatsächlich, dann sind sehr rasche Reaktionen kleinerer europäischer Zentralbanken denkbar, wie etwa der schweizerischen oder schwedischen Notenbank. Eine solche Reaktion ist wahrscheinlich, obwohl der Einlagenzins der SNB schon jetzt bei minus 0,75 Prozent liegt und der schwedische Leitzins bei minus 0,35 Prozent.

   Die mögliche Ausweitung des Anleiheankaufprogramms ist zum einen über eine zeitliche Verlängerung, und zum anderen über ein höheres monatliches Ankaufvolumen möglich. Viele Beobachter rechnen mit einer Kombination aus beidem. Je höher das Volumen - derzeit sind es monatlich 60 Milliarden Euro -, desto mehr wird die EZB bemüht sein, die Palette ankaufbarer Wertpapiere zu erweitern. Denn schon jetzt sind die Anleihen in einigen Ländern, zum Beispiel in Deutschland, knapp.

   Allerdings würde eine Senkung des Einlagensatzes das ankaufbare Volumen erhöhen, denn die EZB kauft nur solche Anleihen, deren Rendite über dem Einlagensatz liegt.

   Ein möglicher Kandidat für Erweiterungen ist neben Anleihen von Gebietskörperschaften - wie zum Beispiel von deutschen Bundesländern - ein etwas größeres Spektrum an Unternehmensanleihen. Hier allerdings droht Draghi Widerstand. Die Neigung des Rats, die Zentralbankbilanz mit solchen privaten Risiken zu belasten, ist gering. Und auch ihre regionale Auswahl hat Tücken.

   Vor diesem Hintergrund ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass der Rat tatsächlich nur das von den Analysen erwartete "schlanke" Programm auf den Weg bringt. Begleiten könnte er das mit der Zusage, im Falle anhaltend schwacher Inflationsaussichten zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen. Auch damit könnte die Notenbank eine Wirkung erzielen. Gegen ein solches Vorgehen spricht allerdings der doch sehr entschlossene Ton, den Draghi zuletzt angeschlagen hat.

   Zum Procedere: Eine Senkung ihres Einlagensatzes würde die EZB um 13.45 Uhr bekannt geben. Über mögliche Abstufungen dürfte dann grob EZB-Präsident Draghi in seiner Pressekonferenz (Beginn 14.30 Uhr) informieren, wobei Details in einer gesonderten Veröffentlichung am späteren Nachmittag folgen könnten.

   Teil der einleitenden Bemerkungen Draghis werden zudem die neuen Stabsprojektionen zu Inflation und Wachstum sein. Je optimistischer sich der Stab hinsichtlich der längerfristigen Inflationsaussichten äußert (die Prognose für 2017 liegt derzeit bei 1,7 Prozent), desto mehr taktischer Spielraum bliebe der EZB für eine Abwärtsrevision und entsprechende geldpolitische Reaktionen zu einem späteren Zeitpunkt.

 DJG/hab/mgo

   Dow Jones Newswires

  Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)

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